«Wir sind nicht faul – uns will einfach keiner»

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Arbeitslose Junge«Wir sind nicht faul – uns will einfach keiner»

10,4 Prozent der Jungen stehen in der Schweiz ohne Job da. Vier Arbeitslose erzählen 20 Minuten ihr Schicksal. Ihre Botschaft an Betroffene: «Ihr seid nicht allein!»

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Trotz über 300 Bewerbungen keine Stelle: Eine junge Frau am RAV in Hergiswil NW.

Trotz über 300 Bewerbungen keine Stelle: Eine junge Frau am RAV in Hergiswil NW.

Jeder zehnte Jugendliche ist arbeitslos. Rund 12 Prozent von ihnen suchen schon mehr als ein halbes Jahr nach einem Job oder einer Lehrstelle. Viele User von 20minuten.ch fühlen mit ihnen. Einige Kommentarschreiber bezeichnen sie aber auch als arbeitsscheu. So schreibt ein Leser: «Diese Leute sind einfach zu faul. Die geniessen das Leben, das wir ihnen finanzieren.»

Die Betroffenen sehen das komplett anders. Vier von ihnen haben sich bereit erklärt, ihre Erfahrung bei der Jobsuche mit anderen Jungen zu teilen. «Die anderen Jungen sollen wissen, dass sie nicht allein sind», sagt Kevin.

Sule (16)

«Seit dem Sommer bin ich aus der Schule. Ich habe mich überall beworben, wo es nur möglich ist. Eine Lehrstelle habe ich aber trotz 75 Bewerbungen nicht. Zum Glück habe ich jetzt wenigstens ein Praktikum als Fachfrau Gesundheit gefunden. Von unserer Klasse haben nur 4 von 20 eine Lehrstelle. Mehrere meiner Kollegen haben die Hoffnung schon fast aufgegeben und hängen die ganze Woche zu Hause rum. Es ist auch alles sehr frustrierend: Ich hatte immer gute Bewertungen in den Schnupperlehren und keine schlechten Noten. Doch die Anforderungen sind einfach zu krass. Viele geben einem Sek-C-Schüler keine Chance. Dass ich so viele Absagen erhalten habe, hat sicher auch mit meinem türkischen Namen zu tun. Mein RAV-Betreuer hilft mir aber nicht wirklich. Dabei wäre es so wichtig, dass mir jemand wieder Hoffnung machen würde. Wenn ich bis Ende Jahr keine Lehrstelle finde, weiss ich auch nicht mehr, was ich tun soll.»

Kevin (25)

«Im Juli 2012 habe ich die KV-Lehre abgeschlossen. Über 300 Bewerbungen habe ich seither geschrieben – ohne Erfolg. Es ist immer dasselbe: Die Firmen nehmen jemanden, der schon Berufserfahrung hat. Wie soll ich dann Erfahrung sammeln, wenn mich keiner will? Ich denke, es gibt einfach zu wenige Stellen und zu viele, die einen Job suchen. Sonst hätten die Firmen keine so grosse Auswahl. Vielleicht könnte man das System ändern: Zuerst würden jene eine Stelle bekommen, die am längsten arbeitslos sind – das wäre wenigstens gerecht. Oder der Staat würde die Firmen dazu verpflichten, Praktika für Lehrabgänger anzubieten, damit diese Berufserfahrung sammeln könnten. Denn die Jungen sind die Zukunft der Schweiz.»

Sandra (24)

«Ich habe Köchin gelernt und mich zur stellvertretenden Abteilungsleiterin hochgearbeitet. Da hatte ich 17 Personen unter mir. Danach war ich Managerin im Büro. Im letzten Februar habe ich gekündigt. Seither habe ich 250 Bewerbungen verschickt – wurde aber nur zu fünf Vorstellungsgesprächen eingeladen. Und da heisst es, wir Jungen seien faul? Wir sind nicht faul, uns will einfach keiner. Ich habe mich sogar als Verkäuferin an einer Tankstelle und bei McDonald's beworben, Hauptsache ich kann arbeiten. Doch da hiess es, ich sei überqualifiziert. Bei den Bürojobs sagen sie hingegen, dass mir die Diplome fehlten oder ich zu wenig Erfahrung hätte. Bis Ende Jahr bekomme ich noch Geld vom RAV, dann muss ich für Sozialhilfe auf die Gemeinde. Dabei will ich doch einfach nur arbeiten. Das ist extrem frustrierend.»

Janis (16)

«Ich habe an die 30 Bewerbungen geschrieben. Das klingt jetzt nicht nach besonders viel. Ich bewerbe mich aber nur auf Stellen, die zuvor von meiner IV-Beraterin informiert wurden. Denn ich habe das Asperger-Syndrom. Bei den Firmen heisst es dann: ‹Wir wären überfordert›, ‹Du wärst überfordert› oder ‹Das käme uns zu teuer›. Dabei übernimmt die IV die Ausbildungskosten. Viele Junge suchen in einem weiteren Schuljahr oder mit Sprachaufenthalten nach einer Lösung – obwohl das nicht das ist, was sie machen wollen. Und noch länger in die Schule? Darauf habe ich keine Lust mehr. Ich würde mir die Möglichkeit wünschen, in geschütztem Rahmen eine Lehre zu machen. Denn ich möchte von der IV weg und nicht auf eine Rente angewiesen sein. Mein Traumberuf wäre Informatiker.»

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