Entsetzte ReaktionenÄrzte wollen Filmdoku von Impfgegnern verbieten
Ein Dokumentarfilm prangert das Impfen an. Ärzte fordern, dass der Streifen in den Kinos nicht gezeigt wird.
Der kerngesunde Ian konnte von einem Tag auf den anderen nicht mehr gehen. Eine andere Mutter berichtet von ihrem Sohn, der seinen Kopf plötzlich «gegen alles schlug, was er finden konnte». «Sind unsere Kinder noch sicher?», fragt der Dokumentarfilm «Vaxxed – die schockierende Wahrheit». Angeprangert wird die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln – als gefährlicher Stoff, der Autismus verursacht.
Am Donnerstag feierte der kontroverse Film im Zürcher Kino Stüssihof Premiere, am Freitag folgt das Kino City in Uzwil. Schweizer Ärzte und Wissenschaftler zeigen sich entsetzt. In einer konzertierten Aktion schrieben sie die Redaktion von 20 Minuten an. Einige sprechen von einem Lügen-Film und fordern ein Verbot.
«Film verunsichert»
«Es ist unverantwortlich, einen Film zu zeigen, der Lügen verbreitet und eine ganze Bevölkerung gefährdet», sagt Professor Adriano Aguzzi, Direktor des Instituts für Neuropathologie am Universitätsspital Zürich. Seit über zehn Jahren sei die Theorie, dass zwischen Impfstoffen und Autismus ein Zusammenhang bestehe, mit letzter Sicherheit widerlegt. «Klar ist hingegen, dass man an Masern sterben kann, wenn man sich nicht dagegen impft.» Der Film habe bereits viele Todesfälle an Masern verursacht, indem er suggeriert habe, Impfen sei gefährlich.
Aguzzi befürchtet, dass der Film zu einer grossen Verunsicherung führen und zahlreiche Schweizer zu Impfgegnern machen könnte. «Die Impfmoral in der Schweiz ist jetzt schon katastrophal.» Viele Eltern glaubten, sie schadeten ihrem Kind, wenn sie es impften. Aguzzi betont, dass sich autistische Veranlagungen schon bei der Geburt zeigten. «Schon allein aus diesem Grund kann man ausschließen, dass Impfungen irgendetwas damit zu tun haben.»
Auch Maja Strasser, Fachärztin FMH Neurologie, schreibt, sie habe mit Schrecken und Ärger gehört, dass der Propagandafilm «Vaxxed» vorgeführt werden soll. Wer diesen Film zeige, habe überhaupt keine Ethik und kein Gewissen. Und Martin Hergersberg, Fachspezialist Genetik, warnt: «Der Film verbreitet unnötig Angst bei Leuten, die sowieso schon Angst vor dem Impfen haben.»
«Jeder soll sich eine eigene Meinung bilden»
Nach Protesten von Impfbefürwortern setzten Kinos in Deutschland und Italien den Film ab. Selbst Impfgegner und Festivalveranstalter Robert De Niro strich den Film aus dem Tribeca-Filmfestival 2016 in New York. «Vaxxed» aus dem Programm zu kippen, käme im Stüssihof niemals infrage, sagt hingegen der Programmverantwortliche Peter Preissle. «Damit würde die Medien- und Meinungsfreiheit gefährdet.»
Das Kino sei ein offenes Forum, in dem sich jeder Mensch seine eigene Meinung bilden könne. «Ich masse mir nicht an, als Veranstalter zu bestimmen, ob ein Film gut oder schlecht ist.» Laut Preissle sind sieben Vorstellungen von «Vaxxed» geplant.
«Masern können zum Tod führen»
Ärzte warnen vor den Folgen einer Nicht-Impfung. Laut Aguzzi führen Masern häufig zu einer Hirnhautentzündung. «Dazu sind bleibende Schäden wie Sprach- und Gehverlust möglich.» Im schlimmsten Fall führten Masern zum Tod. Er macht auf weltweit 73'000 Todesfälle aufgrund von Masern im Jahr 2014 aufmerksam. «Jeden einzelnen Todesfall hätte man verhindern können.»
Strasser hatte schon Patienten, die als Folge von Masern an subakuter sklerosierender Panenzephalitis SSPE litten. Dabei handelt es sich um eine Spätkomplikation von Masern, die bis zu zehn Jahre nach der Infektion einsetzen kann. Im letzten Stadium befinden sich die Patienten in einem Wachkoma.
Manipulierte Studie
Produziert wurde der Film vom britischen Impfgegner und Chirurgen Andrew Wakefield. In einer Studie behauptete er 1998 einen Zusammenhang zwischen Impfungen und einem höheren Risiko für Autismus bei Kindern. In Grossbritannien ist Wakefield mit einem Berufsverbot belegt. Wakefield hatte die Studie manipuliert. Zudem erhielt er von Anwälten der Eltern autistischer Kinder Geld für Studienmaterial, das diese in Prozessen gegen Impfstoffhersteller verwenden wollten.