Sextortion«Ein erregter Mann hält sich für den Grössten»
Warum fallen Männer auf die Sextortion-Masche rein? Sexologe Martin Bachmann erklärt, wie sexuelle Erregtheit das männliche Gehirn ausschaltet.
Herr Bachmann, was treibt Männer dazu, vor der Webcam unbekannten Frauen ihren Penis zu zeigen?
Sexuelle Lust, aber auch das Bedürfnis nach Stressabbau sowie Langeweile können Männer dazu bringen, sich auf einen Sex-Chat mit einer Fremden einzulassen. Und so etwas kann natürlich ein besonderer Kick sein. Sowieso ist es meist einfacher, mit einer Unbekannten einen Sex-Chat zu führen als mit einer Frau, die man kennt und bei der es Konsequenzen hätte, wenn man Fantasien äussern würde, die ihr nicht gefallen.
Die Sextortion-Masche ist schon seit Jahren bekannt. Viele Betroffene sollten sich der Risiken also bewusst sein. Warum tun sie es trotzdem?
Weil diese Männer erregt sind, weil sie geil sind. Diese Erregung führt zur Selbstüberschätzung, zu Grössenwahn. Ein Mann, der eine Erektion hat, hält sich für den Grössten, für den Geilsten. Wenn die Frau auch Erregung zeigt, vergisst der Mann alle Bedenken. Die meisten Männer glauben, dass man ihnen nichts vorspielen kann. Und doch täuschen sie sich und halten die Erregung der Frau für echt.
Spielt Alkohol oft eine Rolle?
Das würde ich nicht sagen. In diese Falle tappen Männern auch, wenn sie völlig nüchtern, aber scharf auf Sex sind oder Entspannung, Ablenkung oder Belohnung suchen.
Wenn sich nach dem Chat die Erpresser melden und mit der Veröffentlichung des Penis-Videos drohen: Wie schlimm ist das für die Betroffenen?
Es ist eine riesige Beschämung, ein ganz böses Erwachen. Der Mann realisiert, dass er nun möglicherweise geoutet wird als einsamer Wichser, der vor seinem Computer masturbiert. Beim ersten Mal zahlen viele, um sich vor der Blossstellung zu schützen. Erst wenn weitere Forderungen kommen, ist für die meisten Schluss. Nach dem ersten Schock schaffen es aber auch viele Männer, das sportlich zu nehmen. Sie sagen sich: So sind wir Männer halt, so bin ich halt. Viele nehmen dies aber auch zum Anlass, ihr Verhalten zu ändern, und holen sich hoffentlich Unterstützung.
Sie haben schon einige Sextortion-Opfer beraten. Warum suchten sie Hilfe?
Zu uns ins Mannebüro kommen natürlich eher die schweren Fälle, bei denen der Sextortion-Vorfall Konsequenzen hatte. Bei einigen ist deswegen die Beziehung zerbrochen, die Partnerin wollte sich so etwas nicht bieten lassen. In einem Fall hat der Betroffene den Job verloren. Das Problem war, dass dieser Mann den Sex-Chat von seinem Bürocomputer aus geführt hatte. Wir helfen diesen Männern, ihre Sexualität besser zu organisieren und genussvoll zu gestalten.
Sollten Sextortion-Opfer ihrer Partnerin erzählen, was passiert ist?
Nicht alle haben eine Partnerin. In der Regel haben Frauen Mühe, das Verhalten des Mannes in Sex-Chats einzuordnen. Die Schwierigkeit ist, dass sie das Konzept des Mannes, über Sex Stress abzubauen und mit Selbstbefriedigung etwas fürs Gemüt zu tun und die Stimmung zu heben, nicht verstehen. Dennoch sollte man die Karten auf den Tisch legen. Aber man sollte der Partnerin zu viele Details ersparen.
Warum?
Weil jedes Detail die Gefahr von Misserverständnissen erhöht, und wenn man diese klären muss, wird Energie verschwendet. Die Energie sollte man darein investieren, mit der Partnerin zu klären, wie man die gemeinsame Sexualität geniessen und verbessern kann und welche Bedürfnisse und Wünsche des Mannes zum Sex-Chat geführt haben.
Welche Männer laufen am ehesten Gefahr, auf die Sextortion-Masche reinzufallen?
Unsicherheit spielt eine grosse Rolle. Wer sexuell selbstsicher ist, kommt weniger in eine solche Situation. Unsichere Männer, die kein erfülltes Sexualleben haben und sich nie trauen würden, eine Frau auf der Strasse anzusprechen, geraten eher in die Internet-Falle.

Martin Bachmann ist Sexologe und Männerberater beim Mannebüro Zürich.