«Mindest-Franchise von 3000 Fr wäre denkbar»

Aktualisiert

Krankenkassen-Experte«Mindest-Franchise von 3000 Fr wäre denkbar»

Felix Schneuwly findet eine Erhöhung der Franchisen sinnvoll. Im Interview erklärt er, warum er selbst eine Verzehnfachung begrüssen würde.

von
J. Büchi
Steigende Gesundheitskosten bereiten vielen Versicherten Bauchweh. Sind höhere Franchisen der richtige Weg, um der Entwicklung entgegenzuwirken?
Ja, findet das Parlament. «Wer sich in einem höheren Umfang an den Kosten beteiligen muss, überlegt es sich eher, ob der Gang zum Arzt nötig ist, oder ob bei einer Bagatelle auch Abwarten und Teetrinken eine Möglichkeit wäre», sagte Kommissionssprecherin Regine Sauter (FDP/ZH).
Dagegen stellte sich eine linke Minderheit. Es sei verheerend, wenn Menschen aus Kostengründe auf einen Arztbesuch verzichteten, sagte Barbara Gysi (SP/SG).
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Steigende Gesundheitskosten bereiten vielen Versicherten Bauchweh. Sind höhere Franchisen der richtige Weg, um der Entwicklung entgegenzuwirken?

Keystone/Christian Beutler

Herr Schneuwly, Sie finden es sinnvoll, dass Patienten künftig einen grösseren Teil der Behandlungskosten selber tragen sollen. Warum?

Es gibt zu viele Menschen, die bei Bagatellen zum Arzt oder in den Spitalnotfall rennen und auch sonst unnötige Untersuchungen und Behandlungen in Anspruch nehmen. Wir müssen weg von dieser Vollkasko-Mentalität. Dass die Mindestfranchise wenigstens der Kostenentwicklung angepasst wird, ist für mich eigentlich selbstverständlich. Persönlich könnte ich mir auch vorstellen, dass die tiefste Franchise auf 3000 Franken erhöht würde.

Das wäre eine Verzehnfachung!

Ja, dann müssten die Versicherten wirklich alle Bagatellfälle selber zahlen. Die Krankenkasse wäre wieder eine richtige Versicherung: Sie käme nur noch für die Behandlung ernsthafter Erkrankungen auf. Den Zahnarzt bezahlen wir ja jetzt schon selbst. Warum nicht auch den Hausarzt? Dadurch könnten die Prämien aller Versicherten um etwa einen Fünftel gesenkt werden. Das bedingt aber natürlich, dass einkommensschwache Personen mehr Unterstützung erhielten und zwar mit dem Geld, das die Kantone dank tieferer Prämien bei den Prämienverbilligungen einsparen würden.

Viele Menschen mit tiefem Einkommen haben schon heute Mühe, ihre Arztrechnungen zu bezahlen. Lassen Sie das einfach ausser Acht?

Nein. Personen, die wenig Geld haben, bekommen heute Prämienverbilligungen. Aber wenn man sieht, wofür die Leute sonst noch Geld ausgeben, wundert man sich schon, warum es genau für den Arzt nicht reichen sollte. Bei einer Franchise von 300 Franken rate ich Versicherten, tausend Franken jährlich zur Seite zu legen. Denn neben der Franchise fällt auch noch ein Selbstbehalt von bis zu 700 Franken an. Wer dieses Geld für Ferien oder ein Autoleasing ausgibt, ist selber schuld.

Kantone führen schwarze Listen mit Namen von Leuten, die ihre Krankenkassen-Rechnungen nicht bezahlen können. Zeugt dies nicht von einer Fehlentwicklung?

Die Frage ist: Können oder wollen die Leute die Prämien nicht zahlen? Wenn sie es tatsächlich nicht können, muss man die Kantone an den Pranger stellen: Sie sind dafür verantwortlich, dass einkommensschwache Personen mit Prämienverbilligungen zu entlasten.

Fakt ist aber: Die Prämien steigen, die Verbilligungen werden gekürzt – und nun sollen sich die Leute auch noch stärker an den Kosten beteiligen.

Auf dieses Gejammer bin ich wirklich allergisch. Das eigentliche Problem ist, dass die meisten Kantone ein schlechtes Prämienverbilligungssystem haben, das nach dem Giesskannenprinzip funktioniert. Ich kenne viele Bauern, die Prämienverbilligungen erhalten. Das ist doch ein Skandal! Die bekommen sonst schon viel Geld vom Staat. Auch viele Studenten werden vom Kanton unterstützt, auch wenn sie aus einem reichen Haushalt stammen und ihre Eltern die Prämien zahlen. Es müssen weniger, aber die richtigen Menschen Verbilligungen erhalten.

Lieber ein Aspirin schlucken als bei jeder Bagatelle zum Arzt rennen, lautet die liberale Losung. Besteht dadurch nicht die Gefahr, dass Erkrankungen zu spät erkannt werden und die Kosten unter dem Strich noch höher ausfallen?

Diese Gefahr besteht theoretisch. Allerdings fehlen Untersuchungen dazu, wie oft das der Fall ist. Leider wehren sich die Ärzte mit Händen und Füssen dagegen, dass man solche Versorgungsfragen seriös analysiert. Vermutlich befürchten sie, dass man sonst schwarz auf weiss sieht, wie viele Behandlungen unnötig wären.

Der Nationalrat will den Krankenkassen künftig auch mehr Freiheiten gewähren, sodass sie etwa neue Versicherungsmodelle anbieten können. Was ist hier zu erwarten?

Gewisse Ideen geistern schon länger umher. Etwa, dass die Patienten eine Gebühr von 100 Franken zahlen sollen, wenn sie unnötigerweise in die Notaufnahme gehen. Besser wäre es aus meiner Sicht aber, grössere Rabatte zu gewähren, wenn sich jemand verpflichtet, zuerst auf eine Hotline anzurufen, bevor er zum Arzt oder ins Spital geht. Hier haben Krankenkassen heute zu wenig Freiheiten – oder schöpfen sie nicht genügend aus.

Reichen diese Massnahmen, um die Gesundheitskosten zu dämpfen?

Es ist eine Illusion zu glauben, dass einzelne Massnahmen alles in Ordnung bringen. Wir müssen einsehen, dass es schlicht ein Effizienzproblem im System gibt. Es ist etwa unsinnig, dass die Krankenkassen die Rechnungen jedes zugelassenen Arztes begleichen müssen, auch wenn er noch so teuer und schlecht ist. Dieser Vertragszwang muss aufgehoben werden.

Oder aber die Forderungen nach einkommensabhängigen Prämien oder einer Einheitskasse kommen wieder auf den Tisch, wenn zu viele Menschen unzufrieden sind mit dem aktuellen System.

Wir gehen ja bereits Richtung Einheitskasse! Der Spielraum der Kassen wird immer stärker eingeschränkt – etwa durch die Forderung jährlich kostendeckender Prämien für kleinste Kollektive und strikten Vorgaben zu den Reserven. Wenn sich alle gleich verhalten müssen, dann brauchen wir wirklich bald nicht mehr 50 verschiedene Marken. Aber das Volk hat eine Einheitskasse bisher stets abgelehnt. Es lässt sich nicht weismachen, dass ein solches System der Schlüssel zu tieferen Kosten ist.

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