Zweitletzter PlatzWarum Schweizer keine neuen Freunde wollen
Fast überall auf der Welt findet man einfacher Freunde als in der Schweiz. Zu diesem Schluss kommt eine Studie.
In der Schweiz Freundschaften zu knüpfen, ist eine Kunst – zumindest für Expats. In einer gross angelegten Umfrage der britischen Bank HSBC landet die Schweiz in der Kategorie «making friends» auf dem zweitletzten Rang. Hinter Kuwait, Saudiarabien und 35 weiteren Ländern. Nur Schweden sind noch unnahbarer.
Martina Famos hat sich als psychologische Beraterin auf die Probleme von Expats spezialisiert. Sie hat eine Erklärung für das Studienergebnis: Schweizer hätten eine andere Auffassung von Freundschaft als andere Nationen. Amerikaner oder Engländer gehe es bei der Freundschaft eher darum, «ein Bier zusammen zu trinken». Für Schweizer sei die Freundschaft verpflichtender, ein Freund sei «jemand, mit dem man Lösungen bespricht, wenn es einem schlecht geht».
«Auch Schweizer finden nicht leicht Freunde»
Die Gründe für diese Einstellung lägen tief: «Schweizer sind ordentlich, zuverlässig, organisiert. Machen wir etwas, machen wir es richtig.» Das gelte auch für Freundschaften. Deshalb sei dies etwas Bindendes, nichts Leichtfüssiges oder Unbekümmertes. Und weil kein Mensch unbegrenzt Kapazität habe für diese Freundschaftsqualität, wichen die Schweizer potenziellen Freunden lieber aus, als unzuverlässig zu handeln. Schweizer wüssten aber auch gerne, was auf sie zukomme. «Und das weiss man bei neuen Bekanntschaften eher selten.»
Dies gelte nicht nur in Bezug auf Expats: «Ähnliche Erfahrungen machen auch Schweizer, wenn sie in eine andere Stadt ziehen.» Allerdings hätten Schweizer den Vorteil, dass sie wüssten, wie diese Distanziertheit zu interpretieren sei. «Expats empfinden sie fälschlicherweise, aber verständlicherweise oft als persönliche Ablehnung.»
Alexia Iskenderian-Alex hat armenische Wurzeln und kam als Zweijährige in die Schweiz. Sie ist Zürich-Botschafterin der Expat-Plattform «InterNations» und organisiert Treffen für Neuankömmlinge. Auch sie sagt, Zürich sei für neue Einwohner ein hartes Pflaster. Dies vor allem aus zwei Gründen: Einerseits seien Schweizer skeptisch, sie beobachteten lange. Nur wer sich anstrenge, werde in dieses System aufgenommen. «Sie schützen sich, aber zu Recht. So ein Land hat man nicht in zwei Jahren auf die Beine gestellt.»
«Überfreundlich zu sein finden Schweizer oft oberflächlich»
Gleichzeitig gebe es viele Leute, die mit viel Geld ins Land kämen und in ihrer «Expat-Bubble» das Gefühl hätten, sie müssten sich nicht anstrengen. Doch für Schweizer sei es zentral, dass jemand beispielsweise die Sprache beherrsche. «Einem Expat, der sich offensichtlich keine Mühe gibt, die Sprache zu lernen, begegnet man ablehnend.»
Roger Maurer leitete eine Deutsch-Konversationsgruppe. Auch er weiss: «Es geht lange, bis man in der Schweiz einen Freund hat.» Deshalb glaubten viele, sie müssten überfreundlich sein und direkt auf die Schweizer zugehen, um Freunde zu finden. Schweizer fänden das zum Teil eher mühsam, oberflächlich oder sogar aufdringlich.
Er macht zudem die fehlende «Pubkultur» verantwortlich. «Kaum jemand geht allein ins Pub, um ein bisschen zu schwatzen.» Und: «In anderen Ländern taucht man bei einem Arbeitskollegen mit einem Kasten Bier auf und wird freundlich empfangen.» In der Schweiz mache man das nur bei sehr, sehr guten Freunden. Besonders mit dem unsteten Leben von Expats und den häufigen Wohnort-Wechseln vertrage sich das schlecht. «Die nicht vorhandene Spontanität geht vielen gegen den Strich.»
Haben auch Sie Mühe, in der Schweiz Freunde zu finden? Erzählen Sie uns davon unter feedback@20minuten.ch!