Streit um Initiative«Wir wollten Völkerrecht nicht neu definieren»
Ein Satz in der Durchsetzungs-Initiative der SVP soll gegen zwingendes Völkerrecht verstossen. Die SVP dementiert – politische Gegner befürchten weitreichende Konsequenzen.

SVP-Nationalrat Gregor Rutz (rechts) hält am Text der Durchsetzungsinitiative fest (links: Einreichung des Begehrens).
In ihrer Durchsetzungsinitiative definiert die SVP, was zwingendes Völkerrecht ist – und was nicht. «Als zwingendes Völkerrecht gelten ausschliesslich das Verbot der Folter, des Völkermords, des Angriffskrieges, der Sklaverei sowie das Verbot der Rückschiebung in einen Staat, in dem Tod oder Folter drohen», heisst es im Initiativtext. Genau damit soll die Partei gemäss Experten des Aussendepartements EDA aber gegen zwingendes Völkerrecht verstossen. Dies, weil laut der Definition der SVP Straftäter in Länder zurückgeschafft werden könnten, in denen sie schwer gefährdet sind. Wie die NZZ berichtet, soll der betreffende Teil des Volksbegehrens deshalb für ungültig erklärt werden. Der Bundesrat will das Geschäft voraussichtlich am Mittwoch beraten. Erst danach will er offiziell dazu Stellung nehmen.
Für SVP-Nationalrat Gregor Rutz ist aber schon jetzt klar: «Die Vorwürfe sind absurd.» Bisher seien sich alle Experten und Kommissionen einig gewesen, dass die Initiative das zwingende Völkerrecht nicht tangiert – genauso wenig wie die Ausschaffungsinitiative, die mit der Durchsetzungsinitiative umgesetzt werden soll.
Laut Völkerrechts-Professor Sebastian Heselhaus von der Universität Luzern ist es kein einfaches Unterfangen, die Vorwürfe zu prüfen, weil das zwingende Völkerrecht ein «ungeschriebenes Gesetz» sei. Man könne nicht einfach irgendwo nachschlagen, ob die Formulierung in der SVP-Initiative tatsächlich dagegen verstösst. «Doch die Völkerrechtsspezialisten des EDA haben die SVP-Durchsetzungsinitiative sicherlich sehr differenziert geprüft. Wenn sie zum Schluss kommen sollten, dass die Initiative gegen zwingendes Völkerrecht verstösst, wird das sicher vom Bundesrat in seinem Beschluss über die Initiative berücksichtigt werden.»
«Definitionen nicht eigenmächtig ändern»
Auch für SP-Nationalrätin und Rechtsanwältin Margret Kiener Nellen wäre es in dem Fall «die einzig richtige Entscheidung», den betreffenden Teil der Initiative für ungültig zu erklären. «Die SVP kann Definitionen, die sich über Jahrzehnte herausgebildet haben und über die international ein Konsens besteht, nicht eigenmächtig ändern.»
Völkerrechtsprofessor Heselhaus bestätigt: «Das zwingende Völkerrecht wird gemeinsam von den Völkern der Welt bestimmt. Daher kann nicht ein Land, und schon gar keine Partei, diesen Begriff allein bestimmen.» Wenn die Schweiz ein eigenes Verständnis vom zwingenden Völkerrecht in eine Initiative schreiben würde, dann könnte eine Diskrepanz zwischen der Bundesverfassung und dem internationalen Recht entstehen, warnt er.
Kein völkerrechtlicher Sonderfall
SVP-Nationalrat Gregor Rutz winkt aber ab. Es sei nie die Absicht gewesen, die Schweiz mit der Initiative zum völkerrechtlichen Sonderfall zu machen. «Es ging uns einzig und allein darum, das zwingende Völkerrecht vom nicht-zwingenden abzugrenzen.» Die SVP habe nicht den Anspruch gehabt, das zwingende Völkerrecht neu zu definieren.
Die Pläne, einen Teil der Initiative für ungültig zu erklären, seien Ausdruck einer Arbeitsverweigerung des Bundesrates. «Man will mit allen Mitteln verhindern, dass die Initiative durchgesetzt wird.» Zuerst habe man mit dem nicht-zwingenden Völkerrecht argumentiert – und jetzt eben mit dem zwingenden. Den umstrittenen Satz zu streichen, stehe aber nicht zur Debatte: «Das wäre ja noch schöner, wenn der Bundesrat im Nachhinein einfach streichen könnte, was ihm nicht passt.» So weit werde es nicht kommen, ist Rutz überzeugt. SP-Nationalrätin Kiener Nellen hingegen findet, dass die SVP gut auf den Passus verzichten könnte. «Ich glaube nicht, dass die Initiative ohne den Satz zahnlos wäre.»
Klage und Verlust der Glaubwürdigkeit drohen
Würde der Satz in die Bundesverfassung geschrieben – und verstösst er tatsächlich gegen zwingendes Völkerrecht – bliebe das für die Schweiz wohl nicht ohne Folgen. Zwar könne ein Land bei einem Verstoss gegen das Völkerrecht nicht direkt vor den Richter gezerrt werden, sagt Völkerrechts-Experte Sebastian Heselhaus. Allerdings könnte ein Verstoss gegen zwingendes Völkerrecht, das auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt wird, zu einer Klage vor dem Gerichtshof in Strassburg führen.
«Weiter wäre ein Verstoss gegen zwingendes Völkerrecht ein fatales Zeichen gegenüber der internationalen Gemeinschaft. Die Schweiz fusst auf Neutralität und nimmt international eine wichtige Funktion wahr, wenn sie aufgrund ihrer Neutralität überzeugend die Achtung des Völkerrechts anmahnen kann.» Diese Überzeugungskraft der Schweiz würde ein Abweichen vom zwingenden Völkerrecht in einer Initiative untergraben, so Heselhaus weiter.
Auch SP-Nationalrätin Kiener Nellen befürchtet, dass die Schweiz damit ihre Glaubwürdigkeit verlöre: «Damit würde sich die Schweiz einmal mehr total in die Nesseln setzen. Der Schweiz entstünde ein enormer Imageschaden – den man durch das Streichen dieses Satzes verhindern könnte.»
Bundesrecht über Völkerrecht stellen
Die SVP will von dieser Diskussion nichts wissen. Für sie steht jetzt eine übergeordnete Diskussion im Vordergrund. Die ganze Affäre zeige, dass das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht geklärt werden müsse, so Gregor Rutz. «Wenn es zu Konflikten zwischen unserer Bundesverfassung und dem Völkerrecht kommt, können wir nicht jedes Mal nachgeben», ist Rutz überzeugt. Sonst sei die Schweiz kein souveräner Staat mehr. Das Bundesrecht müsse über das internationale Recht gestellt werden. «Wir prüfen eine entsprechende Volksinitiative.» Dabei solle es aber lediglich um das nicht-zwingende Völkerrecht gehen.
Laut Völkerrechtsexperte Heselhaus wäre es der Schweiz zwar erlaubt, darüber abzustimmen, ob sie die Bundesverfassung über das nicht-zwingende Völkerrecht stellen will. «Auch hier wäre das Signal, das sie damit aussenden würde, aber wieder bedenklich.»
SP-Frau Kiener Nellen sähe bei der Annahme einer solchen Initiative schwarz: «Würde die Schweiz ihr Landesrecht über das Völkerrecht stellen, könnte sie sich abmelden von der übrigen Welt. Eine solche Strategie würde die Schweiz ins totale Abseits führen. Die Schweiz als Kleinstaat mit einem hohen Exportanteil kann sich dies nicht leisten.»