Schweizer Bauern«Über Homosexualität bei Stieren spricht man nicht»
Ein irischer Stier soll getötet werden, weil er schwul ist. In der Schweiz werden Nutztiere kaum auf ihre Sexualität untersucht. Doch auch hier gilt: Wer nicht kann, landet im Schlachthof.

Benjy, der irische Stier ist schwul und soll geschlachtet werden. In der Schweiz überprüft man Stiere kaum auf ihre sexuelle Neigung.
Dass es in Irland einen schwulen Stier gibt, der sich nur für seine gleichgeschlechtlichen Artgenossen interessiert und die Kühe, die er eigentlich besamen sollte, ignoriert, erstaunt Schweizer Bauern. «Von einem ähnlichen Fall habe ich in der Schweiz noch nie gehört», sagt Urs Vogt von Mutterkuh Schweiz, dem grössten Züchter hierzulande. Natürlich komme es vor, dass ein Stier nicht «springe», die Kühe also nicht decke. Dass Homosexualität jedoch der Grund dafür sein könne, sei ihm neu.
Hans Rüssli vom Schweizer Bauernverband sagt, es sei nichts Aussergewöhnliches, dass Zucht-Stiere ihren Job hin und wieder nicht ausführen könnten. «Da wird aber nicht lange gefackelt. Wenn er nicht macht, was er soll, heisst es ‹Ciao› und ab in den Schlachthof.» Dass man einen Stier in der Schweiz je auf Homosexualität untersucht habe, glaube er nicht.
Normalerweise gehe man bei einem Versagen des Stiers davon aus, dass der Bulle aus anatomischen Gründen nicht in der Lage sei, die Kuh zu besteigen. «Vielleicht sind seine Beine zu schwach oder er hat Schmerzen.» Über Homosexualität bei Stieren spreche man unter Bauern jedenfalls nicht.
«Schwule Stiere sind nichts Spektakuläres»
Piero Godenzi, ehemaliger Grosstierarzt mit Kleintier-Praxis in Schaffhausen, hat selbst einen schwulen Papagei in seiner Klinik: «Auch schwule Stiere sind nichts Spektakuläres.» Die Homosexualität im Tierreich sei etwas völlig Normales und Natürliches.
Tatsächlich ist bei etwa 1500 Tierpaaren die Homosexualität wissenschaftlich belegt, beschrieben und ausgewertet. In Jerusalem gibt es ein schwules Geierpaar, das gemeinsam ein Küken grossgezogen hat. In Neuseeland wurden lesbische Möwen in freier Wildbahn dabei beobachtet, wie sie doppelt so viele Eier ausbrüteten, wie es Heteropaare machten.
Weibliche Koalas besteigen andere Weibchen und geben dabei lustvoll rülpsende Laute von sich. Männliche Delfine nutzen das Atemloch zur Kopulation. Rund fünf Prozent der Enten sind schwul und jeder zehnte Widder lässt sich nur mit anderen Widdern ein – dasselbe gilt für Pinguinkolonnien. Es gibt homosexuelle Spinnen, Elefanten, Löwen, Fische, Käfer, Flamingos und Pinguine.
Nicht homosexuell, sondern bisexuell
Doch nicht alle Tiere, die ihre gleichgeschlechtlichen Artgenossen besteigen, sind automatisch schwul: «Man sieht immer wieder, wie Rüden andere Rüden vermeintlich decken. Das hat aber nur damit zu tun, dass, wenn man einen Hund kastriert, er den typisch männlichen Geruch verliert und andere Rüden dann der Meinung sind, es handle sich um ein Weibchen», sagt Godenzi.
Urs Vogt bestätigt: «Kühe besteigen Kühe, Stiere besteigen Stiere, Kühe besteigen Stiere und Stiere besteigen Kühe.» Dieses Verhalten sei vollkommen normal und lasse nicht automatisch auf Homosexualität schliessen. Adrian Steiner, Leiter der Nutztierklinik Vetsuisse Bern, sagt: «Ich würde hier nicht unbedingt von Homosexualität, sondern von bisexuellem Verhalten sprechen.»
Bei Nutztieren sei es durchaus üblich, dass sich Lämmer, Stiere, aber auch Kühe gegenseitig besteigen. Dies sei meist dann der Fall, wenn die männlichen Tiere nicht kastriert seien und die weiblichen Tiere den Eisprung hätten. «Dass sich aber ein Stier nur für andere Stiere und überhaupt nicht für Kühe interessiert, habe ich noch nie erlebt», sagt Steiner. Chantal Häberling von Vier Pfoten hofft, dass Benjy, der homosexuelle Stier in Irland, gerettet wird: «Kein Tier sollte wegen seines sexuellen Verhaltens bestraft oder getötet werden.»