David gegen GoliathBedrohen Patente auf Gerste Kleinbrauereien?
Grossbrauereien lassen in der EU Rohstoffe für Bier schützen. Nun werden Hilfsorganisationen aktiv – und bitten Bundesrätin Sommaruga um Hilfe.
Der Einsiedler Braumeister und Nationalrat Alois Gmür (CVP) ist ausser sich: «Das ist jenseits, eine absolute Frechheit!» Grund für die Aufregung: Das Europäische Patentamt hat den Grossbrauereien Carlsberg und Heineken 2016 mehrere Patente für spezielle Gersten-Züchtungen und das daraus hergestellte Bier erteilt. «Das sind Pflanzen, die uns die Natur gegeben hat», so Gmür. «Es kann doch nicht sein, dass sie nun plötzlich Carlsberg oder Heineken gehören und wir unabhängigen Brauereien sie nicht mehr nutzen können.»
Gmür, der die IG unabhängige Klein- und Mittelbrauereien Schweiz präsidiert, ist mit seinem Ärger nicht allein: In ganz Europa engagieren sich mehrere Organisationen gegen die Patentierung von Pflanzen. «Die Natur ist keine Erfindung, sie gehört uns allen», bekräftigt Zora Schaad vom Hilfswerk Swissaid. Im Fall der Bierbrauer hindere die Patentierung andere Hersteller etwa daran, noch bessere Gerste zu züchten. Zudem leide die Vielfalt des Zuchtmaterials.
Brief an Simonetta Sommaruga
Zusammen mit den Organisationen Public Eye und ProSpecieRara fordert Swissaid Bundesrätin Simonetta Sommaruga in einem offenen Brief zum Handeln auf: «Die Justizministerin muss beim Europäischen Patentamt auf ein Verbot der Patentierbarkeit von Pflanzenzüchtungen hinwirken», fordert Schaad.
Werde die Praxis nicht gestoppt, bedrohe dies die kleinen Bierbrauer in ihrer Existenz, befürchtet Alois Gmür. Die grossen Brauereien hätten ganze Forschungsabteilungen, die nichts anderes machten, als an Rohstoffen und Verarbeitungsmethoden zu tüfteln. «Wenn nun all diese Entdeckungen unter Patentschutz gestellt werden, können die grossen Konzerne immer hochwertigeres Bier herstellen, während für die Kleinbrauereien irgendwann nur noch minderwertige Ware übrig bleibt.»
Besserer Geschmack, längere Haltbarkeit
Mit den geschützten Gerstenzüchtungen können laut den Patent-Anträgen unerwünschte Aromen im Brauprozess vermieden werden. Zudem benötigt die Herstellung des Biers weniger Energie und es bleibt länger haltbar.
John-Paul Schuirink von Heineken International schreibt in einer Stellungnahme: «Wir betrachten geistige Eigentumsrechte als fundamentale Voraussetzungen für Wachstum und Innovation.» Wenn unerwünschte Nebengeschmäcker im Bier wegfielen und der Brauprozess weniger Energie benötige, profitierten davon die Konsumenten und die Umwelt.
«Genügend Spielraum für neue Züchtungen»
Es handle sich nicht um Patente auf einen spezifischen Gerstentyp, ergänzt Ole Olsen von Carlsberg. Vielmehr seien die Rohstoffe aufgrund der verwendeten Technik patentierbar. Er betont zudem: «Die Menge der zurzeit unter dem Patent angebauten Gerste ist zu klein, um den europäischen Gerstenmarkt überhaupt zu beeinflussen.»
Auch Patent-Anwalt Bruno Meyer sieht in den Gerste-Patenten von Grosskonzernen keine Gefahr für kleinere und mittlere Brauereien. Der Schutzbereich der Patente sei ohnehin «relativ eng» definiert, da sie zahlreiche Merkmale und Mutationen beinhalten würden. «Es bleibt genügend Spielraum für neue Züchtungen.»
Ersetzt verbesserte Züchtung alle anderen?
Beim Justizdepartement von Bundesrätin Sommaruga verweist man auf Anfrage auf das Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum, das die Verhandlungen in dieser Sache führt.
Die Gerste, die bisher auf dem Markt ist, mache den Brauereien niemand streitig, erläutert Alexander Pfister, Leiter der zuständigen Abteilung. Die patentierte Gerste hingegen können Carlsberg und Heineken für sich behalten, wenn sie wollen. «Oder sie verkaufen sie – die Frage ist dann, zu welchen Konditionen.» Neue Züchtungen würden die Vielfalt an Gerste an sich erhöhen. «Natürlich kann es aber sein, dass sich eine verbesserte Variante durchsetzt und so alle anderen vom Markt verdrängt.»
EU-Kommission will Verbot
Ob es überhaupt rechtens ist, gezüchtete Pflanzen zu patentieren, wird in Europa kontrovers diskutiert. Pflanzensorten seien heute nicht patentierbar, Pflanzen mit einer bestimmten Veränderung im Erbgut hingegen schon, so Pfister. So sorgten in den letzten Jahren etwa die Patentierung einer schädlingsresistenten Peperoni oder eines Broccoli mit krebsvorbeugenden Inhaltsstoffen für Protest.
Nicht nur NGOs bekämpfen Patente auf Pflanzen und Tiere aus herkömmlicher Züchtung. Auch die EU-Kommission sprach sich im November für ein Verbot aus.
Angesichts der unterschiedlichen Signale in Europa bestehe aus Sicht der Schweiz dringender Klärungsbedarf, so Pfister. «Die aktuelle Situation ist für Pflanzenzüchter, Saatguthersteller und Konsumenten gleichermassen unbefriedigend.» Die Schweiz setze sich deshalb im Rahmen der Europäischen Patentorganisation aktiv dafür ein, «dass das Europäische Patentamt seine bisherige Haltung überprüft und wieder Rechtssicherheit geschaffen wird».