«Retterbabys sind keine Ersatzteillager»

Aktualisiert

Künstliche Befruchtung«Retterbabys sind keine Ersatzteillager»

Nationalräte wollen künftig die Auswahl von Retterbabys erlauben. Ethiker Peter Schaber begrüsst diesen Schritt, warnt aber vor der Instrumentalisierung der Kinder.

von
Nicole Glaus
Peter Schaber ist Professor am Ethik-Zentrum der Uni Zürich und befasst sich mit medizinethischen Fragen.

Peter Schaber ist Professor am Ethik-Zentrum der Uni Zürich und befasst sich mit medizinethischen Fragen.

Die Wissenschaftskommission des Nationalrats will die Auswahl von Retterbabys in der Präimplantationsdiagnostik zulassen (siehe Box). Heute ist diese Untersuchung verboten. Wie beurteilen Sie diese geplante Lockerung aus ethischer Sicht?

Peter Schaber: Grundsätzlich soll es die Möglichkeit geben, dass Embryos darauf untersucht werden können, ob sie beispielsweise für eine Knochenmarktransplantation für das kranke Geschwister in Frage kommen. Doch es ist Vorsicht geboten: Die Gesetzgebung muss Grenzen setzen. Es muss von Fall zu Fall entschieden werden, ob tatsächlich ein medizinischer Notfall besteht. Bis jetzt ist die Präimplantationsdiagnostik der breiten Öffentlichkeit sowieso noch eher unbekannt, da nur für wenige Leute eine künstliche Befruchtung im Reagenzglas überhaupt in Frage kommt.

Verändert sich dadurch in unserer Gesellschaft das Bild vom Kinderkriegen?

Viele sehen in der Möglichkeit, Retterbabys zu zeugen, eine Art Instrumentalisierung der Kinder. Diese Gefahr müssen wir ernst nehmen und die Regelungen entsprechend gestalten. Wenn man aber ein Kind bekommt, dann ist es in erster Linie ein Kind – und die Eltern schauen es auch solches an, und nicht als «Ersatzteillager». Wenn das Kind in einem normalen Umfeld mit Liebe und Fürsorge aufwächst, dann sehe ich kein Problem. Im Gegenteil, da das Kind sein Geschwister retten konnte, wird ihm vielleicht auch besonders viel Liebe entgegengebracht.

In der Romanverfilmung «Beim Leben meiner Schwester» werden die Probleme eines solchen Retterkinds thematisiert: Das Mädchen fühlt sich von den Eltern ausgenutzt. Ist ein solcher Fall auch in der Realität denkbar?

Wenn die Eltern das Kind damit konfrontieren, dass es im Speziellen für die Rettung seines Geschwisters auf die Welt gekommen ist, kann ich mir durchaus vorstellen, dass es zu diesem Zeitpunkt zu Irritationen kommt. Man darf aber nicht vergessen, dass Eltern schon immer auch Kinder bekommen haben, weil sie einen Nachfolger für ihre Firma haben wollen oder jemanden brauchen, der später den Bauernhof übernimmt. Trotzdem ist das Kind ein Mensch, und das wird sich nicht verändern.

Wenn die Präimplantationsdiagnostik tatsächlich liberalisiert werden sollte, könnte das nicht dazu führen, dass die Gesellschaft Krankheiten oder Behinderungen immer weniger akzeptiert? Nach dem Motto: Die Eltern hätten das ja verhindern können.

Das ist wahrscheinlich ein Problem. Ein Problem, das aber nicht nur die Untersuchungen bei der Befruchtung im Glas betrifft, sondern auch die Untersuchung bei Säuglingen im Mutterleib. Bereits jetzt ist diese sogenannte Pränataldiagnostik für alle Paare erlaubt. Es ist klar, dass daraus keine Benachteiligungen für Paare mit einem behinderten Kind erwachsen dürfen, die keine solche Diagnosen durchführen.

Sehen Sie Möglichkeiten, dem entgegenzuwirken?

Hier muss der Gesetzgeber auch ein Auge auf die Versicherungen werfen. Nicht, dass in Zukunft gewisse teure Behandlungen nicht bezahlt werden mit dem Argument: «Sie hätten es ja wissen können.» Generell muss darauf geachtet werden, dass behinderten Menschen diesbezüglich keine Nachteile entstehen.

Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Gesellschaft Integration und Akzeptanz von kranken oder behinderten Menschen weiterhin fördert.

Nationalräte für liberale Regelung

Alle Paare, die auf die künstliche Befruchtung zugreifen dürfen, sollen zukünftig die Pränataldiagnostik machen lassen können. Dies will die Wissenschaftskommission des Nationalrates und befürwortet damit die Auswahl sogenannter Retterbabys. Mit der Präimplantationsdiagnostik können bei der künstlichen Befruchtung die Embryonen genetisch untersucht werden. Das heisst konkret, es wird geprüft, ob sie beispielsweise für eine Knochenmarkstransplantation für das kranke Geschwister in Frage kommen. Zusätzlich findet man mit der Präimplantationsdiagnostik auch kranke Embryos. Dies ermöglicht beispielsweise die Aussonderung von Embryos mit Trisonomie 21 (Down-Syndrom). Heute sind solche Untersuchungen in der Schweiz verboten. Der Ständerat hatte im März entschieden, dass nur Paare mit einer Familiengeschichte mit Erbkrankheiten auf Präimplantationsdiagnostik zurückgreifen dürfen. (SDA)

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