Behinderten-Puppen von Pro Infirmis ecken an

Aktualisiert

KampagneBehinderten-Puppen von Pro Infirmis ecken an

Pro Infirmis will mit speziellen Schaufensterpuppen für mehr Akzeptanz gegenüber Behinderten kämpfen. Die Kampagne kommt aber nicht bei allen gut an.

von
S. Marty

Wer heute seine Weihnachtseinkäufe an der Zürcher Bahnhofstrasse erledigt, dürfte länger als üblich an den Schaufenstern stehen bleiben. Denn dort stehen für einmal nicht Schaufensterpuppen mit perfekten Körpern, sondern solche mit verkürzten Gliedmassen oder krummen Wirbelsäulen. Oder sie sitzen im Rollstuhl.

Hinter der Aktion steckt die Organisation Pro Infirmis, die Körper von fünf behinderten Menschen massstabgetreu zu dreidimensionalen Puppen hat nachbilden lassen. «Indem wir sie neben die perfekten Schaufensterpuppen stellen, wollen wir für mehr Akzeptanz gegenüber behinderten Menschen aufrufen», sagt Sprecher Mark Zumbühl.

Mitgemacht haben unter anderem die ehemalige Miss Handicap Jasmin Rechsteiner, der Leichtathlet Urs Kolly, Schauspieler Erwin Aljukic und Radio-24-Filmredaktor Alex Oberholzer.

Böse Blicke und Kommentare

Auch der Körper der Kundenberaterin Nadja Schmid, die an einer Muskelkrankheit leidet, hat als Vorlage für eine Puppe gedient. Diese steht im Modehaus Schild. Die erste Begegnung mit ihrem Abbild sei emotional gewesen, erzählt Schmid: «Da ich im Rollstuhl sitze, kann ich mich normalerweise nicht nackt und in voller Grösse einfach im Spiegel betrachten.» Es sei einmalig, sich so einmal von einer ganz anderen Seite zu sehen.

Für Schmid war von Anfang an klar, dass sie bei der Kampagne mitmacht: «Auch wenn wir nicht perfekt sind, sind wir trotzdem normale Menschen, die gerne einkaufen gehen und die einen normalen Umgang verdient haben», erzählt die 24-Jährige. Für Schmid, die seit ihrer Geburt an einer Muskelkrankheit leidet, sei es deshalb von Anfang an klar gewesen, bei dieser Aktion mitzumachen. «Es ist leider auch heute noch eine traurige Tatsache, dass ich tagtäglich mit unangenehmen Blicken, despektierlichen Kommentaren oder irritierenden Verhaltensweisen konfrontiert bin.» Diese Barriere zwischen behinderten und gesunden Menschen müsse endlich aufgebrochen werden.

Angst vor negativen Reaktionen hat Schmid keine: «Sich zur Schau stellen ist bei uns Behinderten jeden Tag ein Thema, ob dies nun im Schaufenster passiert oder auf der Strasse, ist kein grosser Unterschied. Filmredaktor Alex Oberholzer, dessen Puppe das Schaufenster vom PKZ ziert, fügt an: «Wenigstens können wir die ganze Thematik so ein Stück näher ins Bewusstsein der Gesellschaft rücken.»

Genau dies darf laut Mark Zumbühl von Pro Infirmis durchaus auch zu Irritationen führen. «Die Leute sollen sich fragen, ob nicht auch Puppen mit Behinderung im Schaufenster stehen sollen oder nur vermeintlich makellose Menschen.»

Keine Lust, ein Ausstellungsobjekt zu sein

Die Aktion ist allerdings nicht bei allen auf Anklang gestossen. CVP-Nationalrat Christian Lohr, der wegen des Medikaments Contergan mit Missbildungen zur Welt kam, gab Pro Infirmis einen Korb. «Durch meine besondere Lebenssituation erlebe ich es ohnehin schon täglich, dass sich viele Blicke auf mich richten», sagt Lohr. Sein Nationalratsmandat bringe es mit sich, dass das öffentliche Interesse an seiner Person und seiner Behinderung nochmals weiter gestiegen sei. «Nun zusätzlich noch als Schaufensterpuppe an der Bahnhofstrasse zu einem Ausstellungsobjekt zu werden, das würde nicht meiner Grundhaltung der von mir gelebten Normalität entsprechen», so Lohr.

Deine Meinung zählt