LandwirteEinsame Bauern suchen per Hotline Hilfe
Das bäuerliche Sorgentelefon läuft heiss. Burn-outs, Depressionen und das Single-Leben bringen die Bauern an den Rand der Verzweiflung.
Eier von «glücklichen Hühnern» und Milch von «glücklichen Kühen» stehen in den Supermärkten. Sich selbst hingegen würden viele Bauern kaum mit dem Label «glücklich» auszeichnen. Das bäuerliche Sorgentelefon läuft heiss. Lukas Schwyn, Präsident der Hotline, berichtet, dass die Zahl der Anrufe in den letzten Jahren auf jährlich über 130 gestiegen sei. Und Ueli Straub, Geschäftsführer des Sorgentelefons, prognostiziert: «Da wir jetzt schon 130 Anrufe verzeichnen, werden es 2015 noch mehr sein.»
Vor allem Familienprobleme belasten laut der «Bauernzeitung» die Landwirte. Viele Bauern rufen wegen Eheproblemen an. Laut Schwyn orientieren sich einige Landwirte noch am klassischen Rollenbild. Die Bäuerinnen seien heute gut ausgebildet. «Es ist für die Männer nicht selbstverständlich, wenn die Frau den Anspruch zum Mitreden geltend macht.» Straub stellt fest, dass die Möglichkeit der Scheidung und der finanziellen Unabhängigkeit die Frauen nicht mehr dazu bewegt, ihren Partner «einfach auszuhalten.» Daher seien auch Seitensprünge ein Thema.
Keine Zeit für die Brautschau
Auch ledige Männer nehmen den Telefon-Service vermehrt in Anspruch. «Die jungen Landwirte arbeiten immer länger. Für den Ausgang bleibt keine Zeit mehr», sagt Franz Hofer, Geschäftsführer Oekonomische und Gemeinnützige Gesellschaft (OGG) des Kantons Bern. Sie hätten aber auch Mühe, eine Partnerin zu finden, weil das Wohnen auf einem Bauernhof für junge Frauen unattraktiv sei.
Die Landwirte können aber nicht nur die Umstände für ihre Einsamkeit verantwortlich machen. «Bauern sind manchmal etwas unbeholfen und uncharmant im Umgang mit Frauen», stellt Straub fest. Lachend fügt er an: Manche Frauen würden halt mehr auf modische Städter als auf Helly-Hansen-Kleider und Stallgeruch stehen.
Dominante Väter
Auch Generationenkonflikte machen den Bauern zu schaffen. Grosseltern, Eltern und erwachsene Kinder würden im gleichen Haus wohnen und auf dem gleiche Hof arbeiten, sagt Straub. «Das kann zu Spannungen führen.» Laut Schwyn gibt es Väter, die nicht loslassen können. «Mit über 80 reden sie dem auch schon knapp 60-jährigen Sohn ständig drein.»
Die Konflikte können sogar in gewalttätigen Auseinandersetzungen gipfeln. Hofer berichtet: «Wir betreuten schon Fälle, in denen Vater und Sohn tätlich wurden.» Auch seien Drohungen mit Waffen ausgesprochen worden. Laut Straub kann es zudem zwischen Schwiegermüttern und Schwiegertöchtern zu Reibereien kommen. «Wenn die Schwiegermutter die Schwiegertochter aus der Stadt nicht akzeptiert, weil sie in ihren Augen zu wenig von Landwirtschaft versteht.»
Bauern stehen unter Druck
Psychische Probleme wie Depressionen und Burnouts halten nebem dem Sorgentelefon die Betriebshelferdienste auf Trab. Sie vermitteln Personal, die sich um den Hof kümmern, wenn der Landwirt ausfällt. Vor 30 Jahren seien Todesfall, Krankheit, Unfall oder Militäreinsatz Gründe für ihre Einsätze gewesen, sagt Andreas Widmer, Geschäftsführer des St. Galler Bauernverbands, der einen Betriebshelferdienst anbietet. «Heute machen physische Erschöpfung und psychische Erkrankungen zehn Prozent der jährlichen Einsätze aus», bilanziert Widmer.
Für den Schweizer Bauernverband liegt der Grund auf der Hand. «Die Probleme hängen eins zu eins mit dem zunehmenden wirtschaftlichen Druck zusammen», sagt Sandra Helfenstein, Mediensprecherin des Schweizer Bauernverbands. Die Landwirte würden unter hohem finanziellen Druck und hoher Arbeitsbelastung stehen. Laut Helfenstein bieten einige Bauernhöfe keine ausreichende Existenz mehr. Aber die Bauernfamilien täten sich schwer damit, dies einzugestehen. «Sie haben einen Betrieb geerbt und wollen ihn gehauen oder gestochen weiterführen.»
Suizidgefährdete Bauern
Widmer teilt diese Feststellungen. Die Landwirte stünden unter doppeltem Druck: «Sie müssen nicht nur der Aussenwelt gerecht werden, sondern tragen auch die volle Verantwortung für die Tiere.» Ferien zu machen liege nicht drin. «Der Arbeitsprozess richtet sich nach der Natur.»
Hofer berichtet von einem Fall, in dem ein Bauer sieben Tage die Woche von morgens um fünf Uhr bis abends um 22 Uhr arbeitete. Laut Widmer holen die ausgelaugten Landwirte «in der Regel zu spät» Hilfe. Und Hofer berichtet: «Einige Bauern waren so tief unten, dass sie suizidgefährdet waren.» Er und sein Team fanden auch schon Bauernhöfe in desolatem Zustand vor. «Die Tiere waren schlecht gehalten, die Erntearbeit wurde vernachlässigt und es herrschte Unordnung.»
Bäuerliches Sorgentelefon
Zweimal pro Woche nehmen Berater unter der Nummer 041 820 02 15 Anrufe von Hilfesuchenden entgegen. Am Montagmorgen von 8.15 bis 12 Uhr und am Donnerstagabend von 18 bis 22 Uhr.