«Patienten sterben, weil im Spital der Strom fehlt»

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SRF-Sendung «Blackout»«Patienten sterben, weil im Spital der Strom fehlt»

Experte Stefan Brem hält einen totalen Stromausfall für realistisch. Die Schäden seien besonders wegen der zunehmenden Digitalisierung massiv.

P. Michel
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P. Michel
In der SRF-Sendung «Blackout» herrscht in ganz Europa Stromausfall. Laut Stefan Brem, Chef Risikogrundlagen beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz, ein «realistisches Szenario».
Brem sagt: «Möglich wäre das, wenn verschiedene Ereignisse zusammenspielen: Etwa wenn die Speicherseen fast leer sind und gleichzeitig ausländische Kernkraftwerke ausfallen, die uns Strom liefern.» Käme dann noch ein Eisregen, der das Stromnetz beschädigt, dazu, würde dies reichen, um in der Schweiz ein Blackout auszulösen. (Symbolbild)
Zuletzt von einem Stromausfall betroffen war die Stadt Zürich. Im Oktober fiel der Strom bei über 1000 Anschlüssen aus. Bei einem flächendecken Stromausfall wie im SRF-Szenario wären die Folgen weit dramatischer: «Es kommt zu einem Verkehrschaos, weil die Ampeln nicht mehr funktionieren, oder zu Bränden und Rauchvergiftungen, weil die Menschen ihre Wohnung mit Kerzen beleuchten», sagt Stefan Brem.
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In der SRF-Sendung «Blackout» herrscht in ganz Europa Stromausfall. Laut Stefan Brem, Chef Risikogrundlagen beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz, ein «realistisches Szenario».

zVg

Herr Brem*, in der SRF-Spezialsendung «Blackout» wird ein Stromausfall in ganz Europa simuliert, wobei auch die Schweiz betroffen wäre. Ist das Panikmache oder ein denkbarer Katastrophenfall?

Das ist ein realistisches Szenario. Möglich wäre das, wenn verschiedene Ereignisse zusammenspielen: Etwa wenn die Speicherseen fast leer sind und gleichzeitig ausländische Kernkraftwerke ausfallen, die uns Strom liefern. Dann würde ein zusätzlicher Eisregen, der das Stromnetz beschädigt, reichen, um in der Schweiz ein Blackout auszulösen. Auch eine lang anhaltende Strommangellage mit regelmässigen, längeren Versorgungsunterbrüchen ist möglich. Unsere Analysen haben gezeigt, dass dies in der Schweiz alle 60 bis 70 Jahre eintreten könnte und Schäden von etwa 100 Milliarden Franken verursachen würde.

Was wären die konkreten Folgen für die Menschen?

Die Auswirkungen wären massiv, weil Elektrizität unseren Alltag bestimmt: Es kommt zu einem Verkehrschaos, weil die Ampeln nicht mehr funktionieren oder zu Bränden und Rauchvergiftungen, weil die Menschen ihre Wohnung mit Kerzen beleuchten. Das Essen verdirbt im Kühlschrank sowie in den Läden, was zu Lebensmittelvergiftungen führt.

Was wären die Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung?

Natürlich wäre das Gesundheitswesen betroffen: Patienten sterben, weil beispielsweise der Strom für die lebenserhaltenden Maschinen in kleineren Spitälern ohne Notstromgruppen ausfällt. Insgesamt müsste in einem Szenario, wie es vom SRF dargestellt wird, mit bis zu hundert Toten gerechnet werden.

Die Notvorräte in den Haushalten wären möglicherweise nach einigen Tagen aufgebraucht. Sind bei einem andauernden Stromausfall dann Unruhen und Plünderungen möglich?

Die Lebensmittelvorräte, die die Behörden für den Katastrophenfall bereithalten, sind ausreichend. Das Problem besteht darin, diese rechtzeitig an die Bevölkerung zu verteilen. Grundsätzlich darf man zudem annehmen, dass sich die Leute mehrheitlich solidarisch zeigen werden. Aber die Gefahr besteht: Wenn die Leute nach zwei bis drei Tagen das Gefühl haben, dass sie von den Behörden im Stich gelassen werden, könnte die Stimmung kippen. Es könnte zu Unruhen und Plünderungen kommen. Das hat nichts mit krimineller Energie zu tun, sondern mit natürlichen Instinkten: Man will das Überleben für sich und seine Familie sichern.

Wie würden die Leute mit den Folgen des Stromausfalls umgehen?

Es gibt Unterschiede zwischen Stadt- und Landbevölkerung. Während die Menschen auf dem Land wohl eher noch Vorräte für ein paar Tage im Keller haben, sieht es in der Stadt anders aus: Dort rechnen viele damit, fast rund um die Uhr ihre Einkäufe erledigen zu können, dadurch werden die Folgen rascher spürbar sein. Viele Leute werden erst mal überfordert sein, weil sie erst dann sehen, wie stark wir vom Strom abhängen, wenn er ausfällt.

Als der Bund 2012 die grössten Risiken für die Schweiz evaluierte, kamen die Experten zum Schluss, dass die grösste Gefahr von einer Pandemie ausgeht. 2015 wurde nachgerechnet, und man erklärte einen lang anhaltenden Strommangel als grösstes Risiko. Was hat sich geändert?

2012 wurden insgesamt zwölf Gefährdungen untersucht, darunter auch ein regionaler Stromausfall. Dieses Szenario stellt im neusten Risikobericht das fünftgrösste Risiko dar. Neu wurden darin 21 zusätzliche Gefährdungen analysiert, darunter auch die Strommangellage. Dass die Auswirkungen einer Strommangellage so massiv sind, liegt an der zunehmenden Stromabhängigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft, die seither noch einmal zugenommen hat. Zerstört etwa in Deutschland ein Sturm wichtige Strominfrastrukturen, entsteht ein Dominoeffekt, der Auswirkungen bis nach Italien und in die Schweiz haben kann.

Welche Gefahren drohen der Stromversorgung neben einer Naturkatastrophe sonst noch?

Ausfälle bei der Stromversorgung werden tatsächlich am häufigsten durch Naturkatastrophen verursacht. Die starke Vernetzung macht sie aber auch zu einem attraktiven Ziel für Cyber-Angriffe. Der Aufwand, eine Gesellschaft auf diese Art zu lähmen, ist aber enorm hoch. Auch das Alter der Netzinfrastruktur stellt ein Risiko dar: Durch den Zubau von neuen Energieproduktionen in ganz Europa muss das Netz ausgebaut werden. In diesem Bereich besteht auch in der Schweiz Handlungsbedarf. Das Problem ist aber erkannt und strategische Ausbauvorhaben dürften in Zukunft priorisiert werden.

*Stefan Brem ist Chef Risikogrundlagen und Forschungskoordination beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz.

Thementag zum Szenario Stromausfall

«Blackout», am 2. Januar 2017 ab 13.05 auf SRF 1.

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