Abgewiesene AsylbewerberEU nimmt Flüchtlinge aus der Schweiz nicht zurück
Das Dublin-System funktioniert für die Schweiz nicht mehr richtig. Rückführungen in europäische Nachbarländer scheitern am Unwillen befreundeter Staaten.

Migranten warten auf ihre Abfertigung bei der Grenzkontrolle am Zoll des Bahnhofs Chiasso am Montag, 22. Juni 2015.
Fast 15'000 Asylbewerber wollte die Schweiz 2014 in andere europäische Länder ausschaffen. So viele wie noch nie. Die Bereitschaft der ersuchten Staaten, die Asylsuchenden zu übernehmen war ebenfalls so tief wie nie zuvor. Nur gerade bei 2638 Flüchtlingen konnte die Rückführung auch durchgeführt werden, berichtet die «NZZ am Sonntag».
Die Quote der effektiv zurückgeschafften Migranten im Verhältnis zu den Gesuchen beträgt nur noch 17,7 Prozent. 2013 lag die Quote noch bei 43 Prozent. Die Zahlen stammen aus einem Bericht des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD).
Italien erfasst Flüchtlinge nicht
Der Hauptgrund für diese Entwicklung liegt in Italien: Dort landeten 2014 rund 170'000 Flüchtlinge aus Nordafrika. Viele von ihnen reisten weiter in die Schweiz und in andere europäische Staaten, ohne dass ihnen von den italienischen Behörden die Fingerabdrücke genommen wurden.
Die Erfassung biometrischer Daten der Asylsuchenden ist gemäss Dublin-Verordnung obligatorisch und gilt als sicherster Nachweis dafür, dass ein Asylsuchender als erstes in das entsprechende Land eingereist ist und in dieses abgeschoben werden kann. «Gemäss eigenen Angaben sah sich Italien aufgrund der hohen Zahl der Anlandungen ausser Stande, alle Migranten zu erfassen», zitiert die «NZZ» aus dem EJPD-Bericht.Vor allem bei Personen aus Eritrea und Syrien, die mutmasslich via Italien in die Schweiz eingereist sein sollen, habe Italien die Rücknahme verweigert.
«Dublin ist tot»
Für SVP-Nationalrat Hans Fehr lassen die Zahlen nur einen Schluss zu: «Dublin ist tot. Staaten wie Frankreich halten sich nicht mehr an die Regeln.» Bei den Asylsuchenden, welche derzeit im Tessin einreisten, sei die überwiegende Mehrheit nicht von Italien registriert. «Es braucht die Rückkehr zu systematischen Grenzkontrollen sowie geschlossene Asylzentren.»
Anderer Meinung ist SP-Nationalrat Andy Tschümperlin. Die Schweiz habe ein grosses Interesse daran, dass das Dublin-System bestehen bleibe. «Das System kommt immer dann ins Stocken, wenn viele Flüchtlinge über das Mittelmeer kommen.» Wichtig sei, sowohl den Druck auf Italien auszuüben, als auch Hilfe anzubieten. «Italien ist vertraglich dazu verpflichtet, die Fingerabdrücke der Ankömmlinge zu registrieren. Dass es im Grunde genügend Kapazitäten dazu hätte, ist bekannt.»
«Asylsuchende versuchen, einer Registrierung zu umgehen»
Beim Staatssekretariat für Migration (SEM) anerkennt man, dass die Südstaaten grossen Belastungen ausgesetzt sind. «In Italien sind letztes Jahr 170'000 Personen gelandet, die das zentrale Mittelmeer per Boot überquerten», sagt Sprecher Martin Reichlin. Diese hohe Zahl stelle Italien vor eine enorme logistische Herausforderung, die in diesem Ausmass kaum bewältigt werden könne. «Deshalb konnten längst nicht alle gelandeten Personen in der Fingerabdruck-Datenbank registriert werden.» Zudem stelle man fest, dass Asylsuchende versuchten, einer Registrierung in Italien zu entgehen und in andere Länder Europas weiterzureisen. Trotzdem setze sich die Schweiz weiterhin dafür ein, dass das Dublin-System konsequent angewendet wird. «Gibt es Indizien, dass eine Person in Italien eingereist ist, stellt die Schweiz ein Gesuch um die Übernahme des Asylverfahrens.»
Für Asyl-Experte Peter Arbenz der richtige Weg: «Über die Jahre hinweg hat die Schweiz vom System profitiert.» Viele Asylsuchende versuchten in letzter Zeit, sich einer Registrierung in Italien zu entziehen und sich bis in die Schweiz durchzuschlängeln, weil die Unterbringungen hierzulande besser seien. Die Schweiz könne im Moment nur den Dialog mit Italien suchen. Letztlich brauche es eine gesamteuropäische Lösung wie die Verteilung der Flüchtlinge auf die Dublin-Staaten nach einem gerechten Verteilschlüssel. Bereits am Donnerstag wird die EU in Luxemburg wieder über Reformen beim Dublin-Abkommen diskutieren.