Junge Eritreer«Wir sitzen nicht nur herum und trinken Bier»
Junge Eritreer in der Schweiz kämpfen gegen ihr schlechtes Image. Nun planen sie eine Integrations-Offensive.
Die Eritreer sind die grösste Gruppe Asylsuchender in der Schweiz – und sie haben ein Imageproblem. Junge Männer, die an den Bahnhöfen ihre Zeit totschlagen, Bier trinken und sich aggressiv verhalten, dominieren die Schlagzeilen. Als Brennpunkt gilt insbesondere der Bahnhof Aarau, wo die Polizei regelmässig wegen Schlägereien oder Pöbeleien ausrücken muss.
Nun wollen junge Eritreer das negative Bild korrigieren: Im Rahmen des Pilotprojekts «imp!act for refugees» der Organisationen Euforia und United Changemakers trafen sich vergangene Woche 18- bis 22-jährige Jugendliche aus dem ostafrikanischen Land, um zusammen über Lösungsstrategien zu diskutieren.
«In Eritrea spricht jeder mit jedem»
Einer der Teilnehmer ist der 18-jährige Finan Ashebir. Seit bald zwei Jahren lebt er in einem Zentrum für minderjährige Flüchtlinge im Kanton Bern. «Ich hatte mir die Flucht und das Leben in der Schweiz einfacher vorgestellt», räumt er im Gespräch mit 20 Minuten ein. «In Eritrea spricht jeder mit jedem. Man fragt: ‹Woher kommst du?› oder ‹Was machst du?›» Schweizer kennen zu lernen, sei ungleich schwieriger.
Rahel Dawit (22), die Sprecherin der Eritrean Diaspora Academy ist selber vor knapp acht Jahren in der Schweiz gekommen, derzeit absolviert sie ihre Zweitausbildung als Fachfrau Gesundheit. Sie sagt: «Viele Eritreer sind zum Nichtstun gezwungen. Solange sie die nötigen Papiere nicht haben, dürfen sie keine Schule besuchen und bekommen keinen Job.» Die Folge sei Langeweile und Frustration.
In einem Pfadiheim in Winterthur haben die Jugendlichen mehrere Vorschläge erarbeitet, um Gegensteuer zu geben:
• In den grösseren Städten sollen Jugendtreffs an Bahnhöfen eingerichtet werden. Finan sagt, oft hielten sich junge Eritreer am Bahnhof auf, weil es dort Gratis-Wifi gebe. Die Jugendtreffs wären aus seiner Sicht eine gute Alternative. «Dort könnten die Leute einem Hobby nachgehen oder sich weiterbilden.»
• In Youtube-Clips wollen sich die Jugendlichen der Schweizer Bevölkerung vorstellen. «Darin können wir zeigen, dass wir motiviert sind, hier Arbeit und Freunde zu finden, und nicht alle rumsitzen und Bier trinken», so Finan. Das negative Image mache vielen Eritreern zu schaffen, ergänzt Christian Fischer, Ausbildungsleiter bei United Changemakers: «Manche Eritreer getrauen sich nicht einmal mehr, in einen Bus einzusteigen, weil sie von den anderen Passagieren so abschätzig beäugt werden.»
• In der Öffentlichkeit seien fast nur die eritreischen Männer sichtbar, bedauert Rahel. Die Frauen blieben oft zu Hause. «Das wollen wir ändern, indem wir von Eritreerin zu Eritreerin das Gespräch suchen und ihnen sagen, dass sie ihre Freiheit hier geniessen dürfen.» Mögliche Anknüpfungspunkte seien etwa die orthodoxen Gottesdienste, die viele Eritreerinnen besuchten.
84 Prozent beziehen Sozialhilfe
Finan ist überzeugt, dass solche Aktivitäten auch die Chancen seiner Landsleute auf einen Job erhöhen. Denn: 84 Prozent der vorläufig aufgenommenen Eritreer haben keinen Job. Heute hätten die Arbeitgeber oft Vorurteile gegenüber eritreischen Bewerbern, dazu kämen kulturelle Unterschiede, so Finan: «Bei uns gilt es als unhöflich, jemandem direkt in die Augen zu schauen. Wir senken den Kopf, wenn wir mit jemandem reden.» Verbessere sich der Kontakt mit der Schweizer Bevölkerung, könnten solche Missverständnisse ausgeräumt werden.
SVP-Asylpolitikerin Barbara Steinmann hingegen ist skeptisch, was die Offensive betrifft: «Viele der Ankömmlinge aus Eritrea sind so schlecht ausgebildet, dass es sich gar nicht lohnt, die nötigen Beträge in ihre Ausbildung zu investieren.» Zudem seien die kulturellen Unterschiede so gross, dass viele Integrationsmassnahmen ergebnislos blieben.
«Das ist ja wie im Märchen!»
Ohnehin seien Jugendtreffs an Bahnhöfen für sie die falsche Lösung: «Es ist ein Fehlanreiz, wenn man neben garantierten Sozialhilfe-Beiträgen auch noch einen Gratis-Aufenthaltsraum zur Verfügung gestellt bekommt – das ist ja wie im Märchen!» Die geplanten Youtube-Filmchen seien vielleicht gut gemeint. «Allerdings lösen sie kein einziges Problem.»
Für die Zürcher Nationalrätin gibt es nur eine Lösung: Die Schweiz müsse darauf hinarbeiten, ein Rückführabkommen mit Eritrea abzuschliessen. «Dieses Land blutet ja auch völlig aus, wenn all die jungen Leute als Wirtschaftsflüchtlinge zu uns kommen.»
Christian Fischer von der Organisation United Changemakers hat für diese Ansichten kein Verständnis: «Es hat mich tief beeindruckt, wie entschlossen die Jugendlichen sind, die Integrationsprobleme anzupacken.» Nach der Diskussion über die Negativschlagzeilen über Eritreer etwa hätten einige der Teilnehmer kurzerhand bei einem lokalen TV-Sender angeklopft, um sich mit den Redaktoren auszutauschen.