Klimastreiks«Idealistisch zu sein, ist das Privileg der Jugend»
«Instrumentalisiert«, «scheinheilig», «altklug»: Streikende Klima-Schüler werden im Netz mit Beleidigungen eingedeckt. Eine Soziologin erklärt, wieso.
Tausende Schüler demonstrierten in den vergangenen Wochen auf Schweizer Strassen gegen den Klimawandel und die ihrer Meinung nach untätigen Politiker. Ihr grosses Vorbild: die 16-jährige Umweltaktivistin Greta Thunberg aus Schweden. Auf Online-Foren und Twitter schlagen ihnen für ihr Engagement jedoch Beleidigungen und Häme entgegen. Sie würden instrumentalisiert und seien scheinheilige Heuchler, weil sie trotzdem gern mit dem Flugzeug in die Ferien reisten und in China produzierte Handys besässen.
Als «altklug», «verhaltensgestört» und «missbraucht» wird auch Greta in einem Tweet bezeichnet, der unter anderem auch von SVP-Nationalrat Claudio Zanetti geteilt wurde.
Woher kommt diese Wut? Wir haben bei Katja Rost, Soziologieprofessorin an der Universität Zürich, nachgefragt.
Frau Rost, Greta und junge Klimaaktivisten werden in den sozialen Medien teils heftig angefeindet. Wieso?
Es überrascht mich nicht, dass gewisse Leute verärgert reagieren, wenn ein 16-jähriges Mädchen, das bislang in der Öffentlichkeit unbekannt war, derart hochgejubelt wird. Viele reagieren darauf mit einer gehörigen Portion Zynismus. Das Problem ist die fehlende Glaubwürdigkeit von Greta: Es gibt viele Leute, die sich konkret für ein Umweltschutzprojekt engagieren und etwa Plastik an Stränden einsammeln. Andere sind Fachexperten auf dem Gebiet und haben jahrelang dazu geforscht. Wieso nicht sie, sondern Greta im Mittelpunkt steht, können viele nicht nachvollziehen.
Ist das Grund genug, dermassen ausfällig zu werden?
Nein, einige Kommentare sind klar grenzwertig. Diese Leute regen sich auf und richten ihr Kommunikationsverhalten darauf aus, möglichst viel Aufmerksamkeit zu generieren. Meistens lesen sie einen entsprechenden Text gar nicht durch. Ihnen schnellt ein Zwischensatz ins Auge, sie ärgern sich darüber und hauen dann in die Tastatur. Bei vielen hat sich über die letzten Jahre im Bereich Umweltschutz und grüne Politik ein enormes Frustpotenzial aufgestaut. Entweder weil zu wenig getan wurde oder weil – aus ihrer Sicht – das Falsche getan wird.
Und die Beleidigungen?
Greta bekommt den Frust ab, obwohl sie als Person nichts dafürkann. Man sieht sie aber als Marionette eben dieser Interessenpolitik. Insofern machen auch Kommentare Sinn, die Greta als verhaltensgestört und missbraucht darstellen. Solche Kommentare ziehen Analogien zwischen Greta und der Pädophiliedebatte in den Frühphasen grüner Politik. Das ist geschmacklos und soll die Glaubwürdigkeit von Greta weiter unterhöhlen. Man sollte solche Kommentare nicht allzu ernst nehmen, und erst recht sollten wir über solche Geschmacklosigkeiten nicht debattieren. Damit geben wir dem Ganzen auch noch Raum.
Warum sind viele Leute beim Thema Klimawandel verärgert?
Beim Klimawandel passiert überhaupt nichts – und das seit Jahrzehnten. Obwohl man mittlerweile sehr genau weiss, dass es den Klimawandel gibt und welche Konsequenzen bei weiterer Untätigkeit drohen. Wenn ich höre, dass Plastikstrohhalme verboten werden sollen und gleichzeitig Lebensmittel oder Pakete drei- oder vierfach mit Plastik eingepackt werden, ärgert das sogar mich. Und inmitten dieser Untätigkeit der Gesellschaft und Politik bekommt nun eine 16-Jährige eine Plattform, mit der sie genauso wenig erreichen wird.
Immerhin hat sie die Schülerstreiks inspiriert, auch in der Schweiz.
Es ist das Privileg der Jugend, idealistisch zu sein und die Welt in Schwarz und Weiss einzuteilen. Dass sie sich für das moralisch Richtige einsetzen und die Erwachsenen an ihre Pflichten erinnern, ist ebenso wichtig. Dass die Welt in vielen Grautönen gesehen werden kann, lernen sie noch früh genug. Beispielsweise wissen sie noch nicht, wie es ist, wenn einem gekündigt wird oder man jemand anderem kündigen muss.
Viele werfen den Schülern Scheinheiligkeit vor. Sie würden an Klimademos gehen und dann trotzdem übers Wochenende nach London reisen.
Man kann es nie allen recht machen. Und wenn wir ehrlich sind – wir sind alle scheinheilig. Wir verschwenden Wasser, reisen für eine Woche Ferien um die Welt und leben dann vegetarisch, um etwas fürs Gewissen zu tun. Es gibt nur wenige Personen, die sich jeden Tag konsequent ökologisch verhalten und sich dafür freiwillig einschränken. Sich einschränken: Genau das bedeutet Umweltschutz nämlich. Die meisten von uns geben ihren Lifestyle oder Komfort jedoch nicht freiwillig auf. Und solange die Forderung nach einem immer höheren Gewinn, einem immer grösseren Wachstum in der Wirtschaft vorherrscht, werden wir im Bereich des Umweltschutzes gar nichts erreichen.
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