Burkaverbot«Arabische Touristen werden Schweiz meiden»
Frauen mit Burka sind im Tessin bald unerwünscht. Das ist, als würde man die Berner Tracht verbieten, findet der Präsident des Schweizer Muslimverbandes Kios.
- von
- D. Pomper
Als erster Kanton der Schweiz will das Tessin das Tragen von Gesichtsschleiern in der Öffentlichkeit verbieten. Das Stimmvolk hat einer Initiative von Giorgio Ghiringhelli für ein Verhüllungsverbot in der Verfassung mit 65,4 Prozent klar zugestimmt. Der Kanton folgt damit den Verhüllungsverboten, wie sie in Frankreich und Belgien gelten. Die Verfassungsänderung muss noch durch die eidgenössischen Räte genehmigt werden.
Ghiringhelli freut sich über seinen Erfolg: «In unserem Land akzeptieren wir alle Religionen. Aber es gibt Grenzen. Burkas haben hier trotz Religionsfreiheit nicht zu suchen, wie auch nicht die Polygamie.» Es gehe hier um Würde und Freiheit. Den Vorwurf des Rassismus lässt er nicht gelten: «Niemand ist fremdenfeindlicher als Islamisten, wie der Terrorakt in Nairobi wieder einmal gezeigt hat.» Ghiringhelli hofft, dass das Tessiner Beispiel in der Schweiz und im Ausland Schule macht.
Bei den islamischen Organisationen ist die Enttäuschung gross. «Nach dem Minarettverbot folgt nun das Burkaverbot. Das sind Indizien für wachsende Fremdenfeindlichkeit», sagt Farhad Afshar, Präsident der Koordination Islamischer Organisationen der Schweiz Kios.
Ausserdem könne es nicht die Aufgabe linker Feministinnen sein, ihre Kleidervorstellungen anderen aufzuzwingen. «Niemand hat das Recht, sich selber für besonders fortschrittlich zu halten. Das ist, als würde man die Berner-Tracht verbieten, weil sie jemand als zurückgeblieben empfindet.» Dass die Burka ein Zeichen der Unterdrückung der Frau sei, bezeichnet Afshar als Vorurteil. «Darüber können nur die betroffenen Frauen urteilen.» Die Burka sei kein islamisches Kleidungsgebot, sondern eine lokale ethnische Tradition.
Meiden Araber nun die Schweiz?
Den Entscheid werde man in der islamischen Welt als unfreundlichen Akt auffassen, ist sich Afshar sicher. Er rechnet mit negativen Auswirkungen auf den Schweizer Tourismus: «Wohlhabende Touristen aus den arabischen Emiraten werden sicher nicht auf die Burka verzichten. Viel eher werden sie in Zukunft einen grossen Bogen um die Schweiz und ihre Schmuckgeschäfte machen.»
Der islamische Zentralrat Schweiz IZRS spricht gar von einer «Tyrannei einer Mehrheit gegenüber einer wehrlosen Minderheit, wie das bereits bei der Minarett-Initiative der Fall war». Er warnt vor einer «Islamophobisierung der Schweiz» und sieht den sozialen Frieden im Land gefährdet.
Auch Amnesty International ist alarmiert: «Das ist ein schwarzer Tag für die Menschenrechte im Tessin», schreibt die Organisation. «Angst und ein künstlich geschaffenes Problem, das es gar nicht gibt, haben über Rationalität und Respekt gesiegt, auf Kosten der Grundrechte der ganzen Bevölkerung», sagt Manon Schick, Geschäftsleiterin von Amnesty International Schweiz. Die Annahme der Initiative laufe dem verfassungsmässigen Recht auf freie Meinungsäusserung und der Religionsfreiheit zuwider und setze ein bedenkliches Zeichen der Intoleranz. Nun hoffe man, dass die Änderung der Tessiner Verfassung nicht vom nationalen Parlament gutgeheissen werde.
«Ein Frauenbild, das man nicht akzeptieren kann»
Zufrieden über den heutigen Entscheid
zeigt sich dagegen Saida Keller Messahli vom Forum für einen fortschrittlichen Islam. «Die Burka steht ein für ein Frauenbild, das man nicht gutheissen kann.» Aus diesem Grund würde sie auch eine entsprechende nationale Initiative gutheissen. Allerdings gibt es laut Keller-Messahli wichtigere Fragen als die Burka-Problematik: «Mir bereiten fundamentalistische Kreise mehr Sorgen als inexistente Burka-tragende Frauen.»
«Der Entscheid hat grosse Signalwirkung»
Herr Behloul*, werden nach dem Tessiner Ja zum Verhüllungsverbot wieder Schweizer Fahnen brennen?
Samuel-Martin Behloul: Dass es in der arabischen Welt vereinzelte Proteste geben wird oder eine Schweizer Flagge symbolisch verbrannt wird, ist nicht auszuschliessen. Einen Flächenbrand wird es aber nicht geben. Denn erstens haben andere Länder wie Frankreich oder Belgien schon ein ähnliches Verbot, und zweitens sind gute Geschäftsbeziehungen mit der Schweiz für diese Länder sehr wichtig. So hat man nach dem Ja zur Anti-Minarettinitiative gesehen, dass viele Muslime im Ausland geschockt und überrascht waren, sich die Proteste aber in Grenzen hielten.
Was sind die Folgen für Schweizer Muslime?
Direkt betroffen sind die wenigsten. Oder wie vielen Burka-Frauen sind
Sie auf der Strasse schon begegnet? Der Entscheid hat aber eine grosse Signalwirkung. Es ist gut möglich, dass dadurch weitere Initiativen angestossen werden, zum Beispiel ein Kopftuchverbot in öffentlichen Institutionen. Zudem ist zu erwarten, dass wieder ein Streit um die Rechtsmässigkeit des Verbots entbrennen wird.
Wird der Tourismus unter dem Verdikt leiden?
Das kommt darauf an, wie das Verbot im arabischen Raum aufgenommen wird. Zahlungskräftige Touristen aus den Golfstaaten sind aber weniger im Tessin, sondern beim Luxus-Shopping in Genf oder Zürich anzutreffen. (DAW)
*Theologe und Islamwissenschaftler Dr. Samuel-Martin Behloul ist Buchautor und Nationaldirektor von Migratio, der Dienststelle für Migrationsfragen der Schweizer Bischofskonferenz. Im Oktober erscheint sein zusammen mit Dr. Andreas Tunger-Zanetti und Susanne Leuenberger herausgegebenes Buch Debating Islam- Negotiating Europe, Religion and the Self.