Der letzte SVP-Büezer lässt das Hobeln sein

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Bortoluzzi in PensionDer letzte SVP-Büezer lässt das Hobeln sein

SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi hängt seine Schreinerkluft an den Nagel. Warum der letzte Handwerker im Parlament genug vom Sägen hat, politisch aber noch einige Nägel einschlagen will.

Jessica Pfister
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Jessica Pfister

Toni Bortoluzzi öffnete 20 Minuten Online die Türen zu Haus und Werkstatt.

In verstaubten Turnschuhen, bequemer Arbeitshose und Kurzarmhemd öffnet Toni Bortoluzzi die Türe zur Schreinerei, die gleich hinter seinem Wohnhaus im zürcherischen Affoltern am Albis steht. Nach einem kräftigen Händedruck und einem warmen «Herzlich willkommen!» stampft der 65-jährige SVP-Nationalrat die Treppen hinauf in den Dachstock der Werkstatt. «Hier oben herrscht noch ein ziemliches Puff», sagt Bortoluzzi, als er sich im schummrigen Licht zwischen Schleifmaschine, Bandsäge und einem unfertigen Holztisch hindurchzwängt. Der Platz reiche ihm aber aus, um auch künftig hin und wieder an einem «Möbeli» herumzuwerken.

Bis vor einem Monat stand ein Grossteil von Bortoluzzis «Lieblingen» noch einen Stock tiefer, im grossen, lichtdurchfluteten Erdgeschoss des Gebäudes. Nun ist dieser Bereich vermietet – an drei junge Kunsthandwerkerinnen. Nur noch eine grosse Hobelbank erinnert daran, dass Bortoluzzi und sein sechsköpfiges Team hier vor kurzem noch die Holzspäne haben fliegen lassen.

«Das hat mir weh getan»

Obwohl die Leidenschaft für das Schreinerhandwerk ungebrochen ist, gab Bortoluzzi Ende Juni seinen Betrieb, den er vor 36 Jahren von seinem Vater übernommen hatte, auf. «Die Doppelbelastung von Beruf und Politik wurde zu gross, ich musste mich entscheiden», sagt der 65-Jährige, der schon 21 Jahre als Nationalrat auf dem Buckel hat. Für die Politik habe gesprochen, dass diese körperlich und geistig weniger anstrengend sei als das Schreinerhandwerk. «Im Betrieb liegt die ganze Verantwortung bei mir, als Parlamentarier kann man diese auf verschiedene Schultern verteilen.»

Das SVP-Urgestein gibt aber auch zu, dass vor allem die politische Entwicklung in den letzten Wochen seinen Entscheid beeinflusst hat – konkret: der Abstimmungskampf zu Managed Care. Dass ihn ausgerechnet die eigene Partei bei der Vorlage, die er massgeblich mitgeprägt hat, im Regen stehen liess, nagt noch immer am treuen Parteisoldaten. «Das hat mir weh getan», sagt Bortoluzzi, und seine Augen werden hinter der Brille zu schmalen Schlitzen. Der Entscheid der Partei, das Anliegen nicht zu unterstützen, sei ein Fehler gewesen.

«Blast mir in die Schuhe»

Dennoch sei das Verhältnis zur SVP, deren Stossrichtung er sonst in allen Belangen für richtig halte, nicht gestört. Wohl nie verzeihen wird Bortoluzzi dafür den zwei Zürcher Parteikollegen Christoph Mörgeli und Gregor Rutz, die mit «völlig absurder gesundheitspolitischer Schaumschlägerei» die Vorlage intern zu Fall brachten. «Ich bin nachtragend, das ist eine Schwäche, die ich vermutlich mit ins Grab nehmen werde.»

Dass Bortoluzzi dennoch den Bettel nicht hingeworfen hat, mag für die einen schlicht eine Trotzreaktion sein – sein neuer Intimfeind Rutz hätte ihn nämlich im Nationalrat beerbt. Für andere ist es typisch für den Kampfgeist des 1,85 Meter grossen und 125 Kilo schweren Mannes, der früher als Leichtathlet im Mehrkampf und später als langjähriger Captain des FC Nationalrats sportliche Erfolge feiern konnte. Er selbst bezeichnet seine Reaktion als Mischung aus beidem. «Klar hätte ich sagen können: Blast mir doch alle in die Schuhe, ich höre mit der Politik auf. Ich sage aber: Jetzt erst recht!»

«Kaum mehr überleben»

Im Gesundheitswesen gebe es noch viele wunde Stellen, auf die er seine kräftigen Finger legen möchte. Von Altersmilde oder Politikmüdigkeit spüre er noch nichts. Es habe schon immer Phasen gegeben, in denen ihm gewisse Entwicklungen auf die Nerven gegangen seien. So zum Beispiel vor 25 Jahren, als die Grünen den Einzug in den Zürcher Kantonsrat schafften und er jeden Montag «diesen unrealistischen Seich» habe anhören müssen. Er sei aber gut darin, solche Ärgernisse zu überwinden.

«Die Welt verändert sich, im Kleinen wie auch im Grossen, das muss man akzeptieren», sagt der stämmige Politiker, während er sanft mit der Hand über ein Stück Holz fährt. Dazu gehöre auch das Ende seiner Schreinerkarriere. «Unsere Branche befindet sich im Umbruch, gerade kleine Schreinereien können kaum mehr überleben, weil industrialisierte Produkte wesentlich günstiger sind.» Deshalb habe es ihn auch nicht überrascht, dass er trotz intensiver Suche keinen Nachfolger für die Werkstatt fand.

Familientradition aufrechterhalten

Am liebsten hätte er den Betrieb in der Familie weitergegeben, sagt der vierfache Vater, während er von der Werkstatt durch den Keller hinauf ins Wohnhaus marschiert. In der Diele angekommen zeigt er stolz auf das Foto seiner 15-jährigen Enkelin – eines von insgesamt 11 Enkelkindern. «Das zwölfte ist schon unterwegs», sagt er und schmunzelt zufrieden. Ob eines davon einmal in seine beruflichen Fussstapfen treten werde, stehe noch in den Sternen.

Zumindest sein einziger Sohn habe die Leidenschaft für das Handwerk geerbt und selbst eine Schreinerausbildung absolviert. Doch weil dessen Westschweizer Ehefrau nicht nach Affoltern ziehen wollte, arbeite dieser nun in der Nähe von Bern. «Die Familientradition wird so immerhin aufrechterhalten», sagt Bortoluzzi und setzt sich im Wohnzimmer an den grossen, selbst gezimmerten Nussbaumtisch. In dieser Stube sass er schon als Kind mit seinen Eltern. «Wir haben eigentlich über alles gesprochen, ausser über Politik», sagt der Mann, der schon als Fünftklässler in der Tageszeitung den Politikteil gelesen hat. Mit seinem Vater, einem Sohn italienischer Einwanderer, habe er dafür die Liebe zum Holz geteilt. «Es gibt unzählige Holzsorten mit völlig verschiedenen Eigenschaften, diese Komplexität fasziniert mich.»

«Handwerker verstehen Volk besser»

Nicht nur beruflich mag es der SVP-Nationalrat vielschichtig, auch in der Politik zieht er die schwer fassbaren Themen vor. «Ich mag es, komplexe Sachverhalte zu durchschauen und auf eine verständnisvolle Ebene hinunterzubrechen», sagt Bortoluzzi, der sich als gesundheitspolitisches Zugpferd der SVP stets für Einsparungen bei Sozialwerken stark gemacht hat.

Seinen Hintergrund als Büezer sah er nie als Handicap – im Gegenteil: «Handwerker, die sich täglich aus eigener Kraft durchschlagen müssen, können das einfache Volk in dieser Hinsicht wohl am besten verstehen.» Er bedauert deshalb auch, dass die Zunft der Handwerker im Parlament praktisch ausgestorben ist. Vom kleinen Handwerkerklub, der sich in Bortoluzzis Anfangszeiten als Nationalrat noch regelmässig getroffen hat, blieb er als einziger übrig. «Klar gibt es noch solche, die ein Handwerkunternehmen führen, ich war wohl aber einer der letzten, der noch selber zum Hobel gegriffen hat.» Dabei sei die Arbeit im eigenen Betrieb der ideale Ausgleich zum teilweise abgehobenen Politbetrieb.

Trägt Gewicht mit Fassung

Um in seinen letzten drei Amtsjahren als Parlamentarier nicht die Bodenhaftung zu verlieren, will Bortoluzzi möglichst viel Zeit mit seinen Enkeln, seiner Frau und seinem geliebten Hund Nero verbringen – ob in Affoltern beim Jassen oder im glarnerischen Elm beim Wandern. Um seine Gesundheit macht sich der politische Experte für dieses Fach keine Sorgen. «Ich bin überzeugt, dass positive Menschen wie ich weniger krank sind», sagt der 65-Jährige und streicht sich über seinen Bauch. Klar kämpfe er mit seinem Gewicht, doch er trage es mit Fassung.

Gedanken mache er sich dafür über sein Leben nach der Politik. «Eine Chüngeli-Zucht wäre ein schönes Hobby.» Doch spätestens wenn seine Enkel den Kaninchen Namen geben würden, könne er die Tierchen nicht mehr metzgen. «Dann bleibe ich dann doch lieber beim Höbelen», sagt Bortoluzzi, verabschiedet sich und trottet zurück in seine ehemalige Schreinerei.

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