Harte SanktionenTausende Franken Strafe für Velosünder
In Genf müssen fehlbare Velofahrer mit drastischen Geldstrafen rechnen. Das sorgt auch in der Deutschschweiz für Aufsehen.
Fall 1: Ein 40-jähriger Velofahrer schlängelt sich am Verkehr vorbei und überquert dabei eine doppelte Sicherheitslinie. Die Polizei zeigt den Mann an, die Justiz verknurrt ihn zu einer Geldstrafe von 1140 Franken. Mit seinem Verhalten habe er Menschenleben gefährdet, so die Begründung. Fall 2: Ein Rentner stürzt in einer Begegnungszone mit seinem Fahrrad. Dabei stösst er mit einem Fussgänger zusammen, der allerdings unverletzt bleibt. Der 73-Jährige muss dafür 2660 Franken hinblättern.
Beide Vorfälle trugen sich im Kanton Genf zu: Seit dem Frühling komme es dort immer häufiger zu überrissenen Strafen für Velofahrer, sagt Christine Jeanneret von der lokalen Pro-Velo-Sektion in der Zeitung «Tribune de Genève». Die Velofahrer seien zur «Zielscheibe» der Behörden geworden, klagt sie. Auch ein spezialisierter Anwalt gibt an, ihm sei eine Praxisänderung aufgefallen. Er kritisiert, es sei nicht die Aufgabe der Ordnungshüter, möglichst viel Geld in die Kassen zu bringen.
Velos und Autos gleich behandelt
Die Polizei erklärt, die Strafen würden automatisch aufgrund der Codes in den Polizeirapporten verhängt, ohne dass die Hintergründe genauer geprüft würden. Das Vorgehen sei auch durch die hohe Zahl der hängigen Dossiers begründet, so Sprecherin Chloé Dethurens. In der Konsequenz heisse dies, dass Auto- und Velofahrer gleich behandelt werden, räumte die Kantonspolizei schon im Juni ein.
«Hohe Bussen für Velofahrer sind ungewöhnlich, aus unserer Praxis kenne ich keine vergleichbaren Fälle», sagt der auf Verkehrsrecht spezialisierte Anwalt Yann Moor von der Kanzlei Prof. Giger & Partner. Meist kämen fehlbare Velofahrer mit einer Ordnungsbusse davon. Auch im Falle einer Anzeige fassten die Justizbehörden Radfahrer sanft an. «Dass dies in Genf offenbar anders gehandhabt wird, ist begrüssenswert», so Moor. Die heutigen Strafen seien kaum abschreckend, sodass sich viele Radfahrer quasi in einem rechtsfreien Raum wähnen würden. «Früher konnte man sich etwas wünschen, wenn man eine Sternschnuppe sah – heute, wenn ein Velofahrer bei Rot anhält», scherzt der Rechtsanwalt. Neben spürbaren Strafen sei aber auch wichtig, dass eine Bestrafung subjektiv überhaupt als wahrscheinlich wahrgenommen werde, was heute nicht der Fall sei.
Einen Anlauf, «Velorowdys» härter anzupacken, unternahm Alt-Nationalrat Markus Lehmann (CVP) vor zwei Jahren. Mittels Motion verlangte er vom Bundesrat, die Strassenverkehrsordnung «mit griffigen Massnahmen» zu versehen, damit Velofahrer, «die in grobfahrlässiger Weise die Strassenverkehrsregeln missachten, hart bestraft werden». Der Vorstoss wurde nach Lehmanns Ausscheiden aus dem Rat abgeschrieben.
Mehr Velo-Unfälle
Fakt ist: Die Zahl der Fahrradunfälle hat in den letzten zehn Jahren von knapp 3200 auf über 4000 Fälle zugenommen, während die Autounfälle im gleichen Zeitraum zurückgingen.
Dennoch sind härtere Strafen für Bettina Mäschli von Pro Velo Schweiz die falsche Lösung. «Stattdessen muss die Infrastruktur angepasst werden.» Wenn Velos auf das Trottoir ausweichen oder unerlaubt abbiegen, liege das oft daran, dass sie sich auf der Strasse nicht sicher fühlten. «Hier müssen wir Gegensteuer geben.» Es sei wichtig, dass sich die Velofahrer an Regeln hielten. Einen Radfahrer gleich drastisch zu bestrafen wie einen Autofahrer, sei jedoch unverhältnismässig, da von einem Fahrrad eine kleinere Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer ausgehe als von einem Automobilisten.