Vergewaltigung in Emmen«Wie eine Narbe, die immer da ist»
Eine Frau wird in Emmen brutal vergewaltigt. Die Ärzte gehen davon aus, dass sie gelähmt bleiben wird. Opferberaterinnen erklären, welche psychischen Folgen das haben kann.

Mirjam Della Betta ist Opferberaterin bei der Frauenberatung Sexuelle Gewalt in Zürich.
Frau Della Betta, Sie beraten Betroffene von sexueller Gewalt. Was kann eine Vergewaltigung bei Opfern auslösen?
Jede Person reagiert sehr unterschiedlich. Es kommt auch auf ihre Vorgeschichte an. Mögliche Folgen können sein: Schlaf- und/oder Essstörungen, Schuld- und Schamgefühle, depressive Episoden, posttraumatische Belastungsstörung bis hin zu suizidalen Gedanken. Verdrängung ist eine weitere Bewältigungsstrategie, welche den betroffenen Frauen das Überleben nach einem solchen Ereignis ermöglicht. Es kann vorkommen, dass Opfer sich erst Jahre nach der Tat professionelle Hilfe holen.
Was erzählen Ihnen die Opfer, wie erleben sie die Vergewaltigung?
Es gibt Frauen, die ausführlich darüber sprechen können und solche, bei denen sich während der Tat ein Schutzmechanismus einstellt, indem sie innerlich abschalten. Dementsprechend können sie nicht über das Erlebte sprechen. Nicht selten klingen Beschreibungen, als würden sie von einer anderen Person sprechen und nicht über sich selbst. Unabhängig davon speichert der Körper das Erlebte allerdings immer.
Der Fall von Emmen erscheint besonders brutal. Kennen Sie ähnliche Fälle?
Ich habe einmal eine Betroffene beraten, der zwei Zähne ausgeschlagen wurden. Einem anderen Opfer wurden nach der Vergewaltigung mit der Zigarette Brandwunden zugefügt. Es gibt ganz brutale und hässliche Geschichten. Das ist leider Realität. Wir wissen lange nicht über alle Fälle Bescheid, da sich auch sehr viele Frauen nicht melden – etwa bei Vergewaltigungen in der Ehe. Unabhängig davon ist ein Sexualdelikt immer brutal für die betroffene Frau.
Das Opfer von Emmen wird wahrscheinlich querschnittgelähmt bleiben. Welche Auswirkungen hat das auf die psychischen Folgen?
Die Lähmung wird sie vermutlich täglich an das Erlebte erinnern. Sie muss sich im Grunde genommen mit zwei Herausforderungen auseinandersetzen. Einerseits den Umgang mit der Vergewaltigung zu finden, andererseits den mit der Lähmung. Eine allein bedeutet schon extremen Stress. Es ist wie eine Narbe, die immer da ist. Manchmal schmerzt sie mehr, manchmal ist sie einfach da. Deshalb ist es so wichtig, dass Betroffene fachkundige Unterstützung in Anspruch nehmen.
Der Täter ist noch nicht gefasst. Was bedeutet das für ein Opfer?
Unwissen ist in vielen Situationen eine Belastung. Für Betroffene kann es beruhigender sein zu wissen, dass ein Täter gefasst ist. Einerseits, weil er dann bestraft werden kann, andererseits, weil er so niemandem mehr Leid antun kann. Im Fall von Emmen läuft die Fahndung nach dem Täter. Das kann das Opfer ebenfalls belasten. Eine Fahndung kann Jahre dauern und während dieser Zeit wird das Opfer immer über den aktuellen Stand informiert oder muss befragt werden. Das kann jedesmal alles wieder hochkommen lassen.
Was raten Sie den Opfern?
Suchen sie uns unmittelbar nach der Tat auf, raten wir ihnen, sich medizinisch versorgen zu lassen. Wir informieren über die rechtlichen Möglichkeiten, vermitteln Geschädigtenvertreterinnen, geben Informationen zum Opferhilfegesetz und vermitteln auch Therapeutinnen. Wichtig ist, dass die Opfer nicht allein bleiben. Sehr hilfreich ist zudem, wenn das soziale Umfeld sie darin unterstützt.
Kann man eine Vergewaltigung überhaupt jemals verarbeiten?
Man kann lernen, damit zu leben. Ein solches Erlebnis hinterlässt Spuren. Ich wünsche dem Opfer von Emmen jedenfalls viel Kraft sowie hilfreiche und gute Unterstützung.