«Die Schweiz wäre auch in der EU erfolgreich»

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Club Helvétique«Die Schweiz wäre auch in der EU erfolgreich»

Der Club Helvétique fordert den Beitritt zur EU und zum Euro-Raum. Wäre das nicht der Untergang der Schweiz? Der Verfasser des Positionspapiers, Marco Curti nimmt Stellung.

von
D. Pomper
«Klar müsste die Schweiz bei einem EU-Beitritt ihren Beitrag leisten. Aber schauen wir uns die Alternative an. Käme es zu Staatsbankrotten, würde die Schweiz mit Fluchtgeld überschwemmt; dann wären wir bei einem Wechselkurs von unter 1:1. Dann wäre unsere Wirtschaft massiv tangiert», sagt Marco Curti vom Club Helvétique.

«Klar müsste die Schweiz bei einem EU-Beitritt ihren Beitrag leisten. Aber schauen wir uns die Alternative an. Käme es zu Staatsbankrotten, würde die Schweiz mit Fluchtgeld überschwemmt; dann wären wir bei einem Wechselkurs von unter 1:1. Dann wäre unsere Wirtschaft massiv tangiert», sagt Marco Curti vom Club Helvétique.

Der Club Helvétique schlägt vor, der EU beizutreten und den Schweizer Franken abzuschaffen. Ist das pure Provokation oder meinen Sie das ernst?

Es ist ein ernsthafter Diskussionsvorschlag. Die bilateralen Verträge waren lange Zeit eine pragmatische Lösung. Doch mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative dürfte damit Schluss sein. Die Schweiz befindet sich jetzt in einer Sackgasse. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo sich die Schweiz neu positionieren muss.

Und die Abschaffung des Schweizer Frankens?

Auch den Schweizer Franken müssen wir überdenken. In den letzten Jahren hatten wir zwei Währungsschocks. Weder der freie Wechselkurs noch die Anbindung an den Euro haben sich bewährt. Der Schweizer Franken ist zum Spielball internationaler Kapitalströme geworden. Dabei sollte es nicht die Aufgabe des Kleinstaates Schweiz sein, als Hort internationaler Finanzströme zu dienen. Falls sich die Situation verschärft, hebt es unsere Währung aus den Angeln.

Leser nennen Ihren Vorschlag einen «intellektuellen Expertenmumpitz». Eine 20-Minuten-Umfrage mit über 28'000 Teilnehmern zeigt: 84 Prozent finden, dass die Schweiz die Unabhängigkeit und Neutralität braucht. Liegen diese Leute alle falsch?

Nein, dafür habe ich Verständnis. Das Problem ist, dass wir diese Diskussion gar nie auf einer sachlichen Ebene geführt haben. In den letzten Jahren fand ein reines EU-Bashing statt. Darum sind jetzt alle überrascht. Wenn aber die Mehrheit der Schweizer eine unabhängige Währung will, die stark schwankt und unberechenbar ist, sowie einen Alleingang in Europa, dann werden wir diesen Weg gehen. Dann aber darf man sich auch nicht über die wirtschaftlichen Konsequenzen beschweren.

Welche Konsequenzen?

Bereits jetzt werden Arbeitsplatzverlegungen in Erwägung gezogen, gewisse Investitionen nicht mehr getätigt, der Wissenschaftsbetrieb ist gestört. Durch die schockartige Aufwertung des Frankens ist eine Rezession möglich, während im benachbarten Umfeld Wachstumsprognosen nach oben revidiert werden.

Bürgerliche Politiker glauben, dass die EU Europa schwächt. Denn der Wettbewerb der Ideen und Systeme zwischen den Staaten sei weggefallen.

Die EU ist kein Zentralstaat. In jedem Land gibt es verschiedene Löhne, Arbeitszeiten und Steuersysteme und auch Ideen.

Immerhin werden über 80 Prozent der politischen Entscheide über EU-Staaten heute in Brüssel gefällt. Was für eine Flexibilität bleibt da noch den Mitgliedern, auf ihre Bedürfnisse einzugehen?

Das hat man während der EU-Krise gesehen: Jedes Land hatte eigene Lösungsansätze. Klar gibt es regulatorische Normen, die von Brüssel kommen. Aber diese muss die Schweiz schon jetzt akzeptieren, obwohl sie nicht Mitglied ist. Wir wären besser dran, wenn wir da mitreden könnten.

SVP-Nationalrat Lukas Reiman glaubt, dass wir als EU-Mitglied zum «Nettozahler eines maroden Konstrukts» werden würden und die «einmaligen Volksrechte reine Makulatur» würden. Die Schweiz würde zum «milliardenschweren Füller leerer EU-Kassen» werden.

Die EU ist kein maroder Klub. Klar müsste auch die Schweiz ihren Beitrag leisten, wenn wir der EU beitreten würden. Tatsache aber ist, dass wir bereits jetzt an Osteuropa zahlen müssen. Und schauen wir uns die Alternative an. Käme es zu Staatsbankrotten würde die Schweiz mit Fluchtgeld überschwemmt; dann wären wir bei einem Wechselkurs von unter 1:1. Dann wäre unsere Wirtschaft massiv tangiert. Es ist eine Illusion zu glauben, dass wir mit einem Nicht-Beitritt Geld sparen. Denken wir an die indirekten Kosten!

Welche indirekten Kosten?

Die Nicht-EU-Mitgliedschaft kostet uns jetzt schon. Nach der Aufhebung des Mindestkurses musste die Wachstumsprognose für 2015 von 1.5 Prozent auf -0.5 bis 0 nach unten korrigiert werden. Bei einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von über 600 Milliarden Franken entspricht ein Verlust von 1.5 Prozent an BIP 9 Milliarden Franken weniger Wertschöpfung. Vermutlich sind diese indirekten Kosten grösser, als wenn wir klar geregelte Verhältnisse hätten.

Sie schreiben im Positionspapier, dass es sehr wohl möglich ist, Wohlstand und Stabilität zu haben und gleichzeitig in der EU und im Euroraum zu sein und verweisen auf unsere unmittelbaren Nachbarn: Bayern, Baden-Württemberg, Voralberg, Südtirol. In anderen EU-Ländern sieht die wirtschaftliche Situation allerdings nicht so rosig aus.

Die EU ist ein sehr grosses, heterogenes Gebilde mit 500 Millionen Einwohnern. Da gibt es zwar sehr rückständige Gebiete, aber eben auch sehr fortschrittliche. Das beweist: Länder, die leistungsfähig und innovativ sind und über ein gutes Bildungssystem verfügen, können auch als Teil der EU den gleichen Wohlstand erreichen wie die Schweiz. Die angeblichen Nachteile sind gar keine Nachteile. Die Schweiz würde auch in der EU erfolgreich sein.

2013 waren in den 17 Euroländern 12,2 Prozent der Menschen ohne Job. Die Arbeitslosigkeit liegt in Griechenland und Spanien bei über 25 Prozent. Schreckt Sie das nicht ab?

Die schlechte wirtschaftliche Situation in Spanien und in Griechenland hat nichts mit der EU zu tun, sondern mit strukturellen Mängeln innerhalb dieser Länder. Im Alpenbogen ist die Arbeitslosigkeit etwa gleich hoch wie in der Schweiz.

Es gibt die Befürchtung, dass sich die Löhne tendenziell dem Ausland angleichen würden. Der Druck auf die Löhne würde doch mit der Euroübernahme stark steigen, oder nicht?

Das bezweifle ich. Es gibt schliesslich auch innerhalb der EU riesige Lohnunterschiede. Vielleicht gäbe es etwas tiefere Löhne. Aber auch die Lebenshaltungskosten würden sinken. Unser Wohlstand würde sich somit nicht ändern.

Mit tieferen Löhnen wären wir im Ausland nicht mehr so kaufkräftig …

Entscheidend ist, zu welchem Eintrittskurs wir der EU beitreten würden. In der Regel macht es Sinn, dass sich dieser in der Nähe der Kaufkraftparität befindet. Es macht schliesslich einen Unterschied, ob wir bei 1.00 oder 1.20 dem Euro beitreten würden. So können unsere Wettbewerbsfähigkeit und die Wohlstandssicherheit gewährleistet werden.

Wirtschaftsprofessor Mathias Binswanger glaubt, dass das gute Image der Schweiz ohne den Franken leiden würde, da die Schweiz nicht mehr als Sonderfall wahrgenommen würde.

Das kann ich nicht nachvollziehen. Das Image der Schweiz hängt von der guten Qualität seiner Produkte und dem ausgezeichneten Service ab. Deutsche Automarken geniessen schliesslich auch einen guten Ruf, obwohl Deutschland in der EU ist.

Würde die Schweiz nicht an Kaufkraft und Vermögenswerten einbüssen?

Das hängt von der Inflation ab. Es ist nicht gesagt, dass diese in der Euro-Zone höher wäre.

Aber würde die Schweiz nicht ihre eigenständige Geldpolitik aufgeben? Sie wäre ja dann dem Engagement der Europäischen Zentralbank unterworfen.

Eine unabhängige Geldpolitik haben wir längst nicht mehr! Das ist eine Schein-Unabhängigkeit. Wir sind abhängig von der Europäischen Zentralbank EZB, vom Fed, von den Märkten.

Eine UBS-Rettung durch die Nationalbank im Jahr 2008 wäre aber nicht möglich gewesen.

Während der Finanzkrise gab es in der EU verschiedene Bankenrettungen. Allerdings über die Regierung. Es stellt sich sowieso die Frage, ob wir in Zukunft eine Grossbank nochmals retten sollen. Besser, es käme gar nicht mehr so weit.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage. Sie waren viele Jahre Direktionsmitglied bei der Zürcher Kantonalbank. Nun machen Sie eine Ausbildung zum Wander- und Schneeschuh-Tourenleiter. Haben Sie dank diesem Lebenswandel Ihre Ansichten zur EU-Politik geändert?

Nein. Aber wenn man bei einer Kantonalbank angestellt ist, dann gehört es sich nicht, wirtschaftspolitische Vorstösse zu machen. Im Ruhestand aber bin ich frei. Das ist der Unterschied.

Marco Curti ist Mitglied des Denk-Klubs Club Helvétique. In einem ökonomischen Positionspapier beschreibt er den Beitritt zur EU und Euro-Raum als «Königsweg».

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