Mohrenkopf-Debatte«Schwarze Menschen gelten als minderwertig»
Die Schweiz müsse sich ihrer rassistischen Geschichte stellen, sagt die Gender-Forscherin Franziska Schutzbach. Es gebe keinen Grund, auf «Mohrenkopf» zu beharren.
Das «Komitee gegen rassistische Süssigkeiten» fordert in einer Petition, dass die «Mohrenköpfe» der Firma Dubler umbenannt werden. Der Begriff sei eine «herabwürdigende Bezeichnung für den Kopf einer dunkelhäutigen Person». Franziska Schutzbach unterstützt die Forderung. Obwohl sie die Petition nicht lanciert hat, erhält sie Hassmails und Morddrohungen.
Frau Schutzbach, wie nennen Sie den «Mohrenkopf»?
Ich sage Schaumkuss. Ich habe einige Debatten zum Thema mitverfolgt und denke: Warum sollte ich darauf beharren, «Mohrenkopf» zu sagen? Hiesse das Ding «Judenkopf» oder «Fotzenkuss», würde das ja auch kritisiert und überdacht. Mohr wird übrigens im Idiotikon, dem Schweizer Mundartlexikon, als Synonym für «Neger» definiert und mit rassistischen Stereotypen wie ‹schmutziges Aussehen› beschrieben. Es ist also unbestritten, dass in der Schweiz sowohl der Begriff «Mohr» als auch dessen Symbolik immer schon rassistisch konnotiert waren.
Sie schrieben: «Wenn wir nicht bereit sind, Sprache zu dekolonisieren, werden auch weiterhin Geflüchtete ertrinken.» Was meinen Sie damit?
Natürlich meine ich nicht, die Veränderung von Sprache würde direkt verhindern, dass Geflüchtete ertrinken. Sondern: Wir leben in einer Kultur, in der Menschen mit dunkler Hautfarbe als minderwertig gelten und Weisse als überlegen, als besser. Dazu gibt es zahlreiche Studien. Und diese hierarchische Kultur zeigt sich unter anderem in Wörtern wie «Mohr». Natürlich hat die europäische Grenzpolitik unter anderem damit zu tun, welches Leben als wertvoll oder weniger wertvoll gilt. Mit dieser hierarchischen Kultur sollten wir uns auseinandersetzen.
Wo fängt für Sie Rassismus an?
Viele glauben, es sei Rassismus, wenn Schwarze im Park verprügelt oder beschimpft werden. Das ist eine sehr verkürzte Vorstellung davon, wie Rassismus funktioniert. Damit kann man sich selber rausnehmen und sagen: Das geht mich nichts an. Rassismus fängt aber schon viel früher an, zum Beispiel anhand von Klischees oder in abwertender Sprache.
Wieso wird denn gerade das Wort «Mohrenkopf» kritisiert?
Wir müssen fragen, woher der heutige Rassismus kommt. Kolonialrassistische Vorstellungen spielen immer noch eine Rolle – in unserem Alltag, unseren Institutionen und in der Sprache. Die Überzeugung, dass «Mohren» primitiv oder böse seien, gehört zur schweizerischen Geschichte, wie der Historiker Bernhard Schär aufzeigt. So gab es Völkerschauen, die im 19. Jahrhundert durch die Schweiz tourten, in denen dunkelhäutige Menschen als «primitive Rassen» präsentiert wurden. Die Schweiz hat eine rassistische Geschichte, der wir uns stellen müssen.
Gäbe es nicht bessere Wege, um Rassismus in der Gesellschaft zu bekämpfen, als Wörter zu verbieten?
Sprache zu reflektieren und anzupassen ist nur ein Aspekt. Es geht darum, zu verstehen, dass Sprache und so genannte «echte» Gewalt nicht getrennte Dinge sind. Bestimmte Begriffe enthalten historisch und bis heute abwertende Vorannahmen über schwarze Menschen. Sie zementieren eine Hierarchie. Es bedeutet nicht, dass man automatisch Rassist ist, wenn man beispielsweise «Mohrenkopf» sagt.
Sondern?
Ich habe als Kind das Spiel «Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann» gespielt, ohne eine negative Assoziation zu schwarzen Männern zu haben. Aber unbewusst gräbt sich etwas ein, das dürfen wir nicht unterschätzen. Letztlich geht es darum, anzuerkennen, dass bestimmte Begriffe oder Bilder einen rassistischen Hintergrund haben und fortschreiben, selbst wenn wir als Individuen keine bewusste rassistische Assoziation haben. Und es geht darum, zu respektieren, dass bestimmte Begriffe für viele unserer nicht weissen Mitmenschen verletzend sind. Auch wenn uns das nicht auf Anhieb einleuchtet.
In einer Umfrage von 20 Minuten haben über 100'000 Personen mitgemacht. Nur 2 Prozent fanden den Begriff «Mohrenkopf» rassistisch.
Viele Menschen fühlen sich extrem provoziert. Sie denken: Jetzt will man mir meine Gewohnheiten wegnehmen! Wenn es um Alltagskultur geht, gibt es viel Abwehr. Ich verstehe das, aber
als Gesellschaft sollten wir Verantwortung für die Geschichte übernehmen. Wir leben in einer Einwanderergesellschaft, das wird sich nicht mehr ändern. Wenn Integration möglich sein soll, können wir nicht nur fordern: «Die müssen Deutsch lernen!» Die Mehrheitsgesellschaft muss auch ihrerseits etwas beitragen.
«Die Petition fordert kein Verbot»
Kürzlich berichtete die NZZ, dass das «Komitee gegen rassistische Süssigkeiten» einen anderen Namen für den «Mohrenkopf» der Firma Dubler fordert. Franziska Schutzbach betont, dass das Thema vulgarisiert wurde. «Die legitime Kritik an Sprache wird als Politik der Verbote stilisiert, als Gedankenpolizei, die uns angeblich etwas vorschreiben will.» Die Petition fordere aber kein Verbot, sondern sei ein Appell an die Firma Dubler, einen Begriff zu überdenken.
Die bisherige Berichterstattung ziehe Personen, die sich zu Rassismus äussern, ins Lächerliche. «Es wird so getan, als wäre nicht Rassismus das Problem, sondern die Kritik an Rassismus.» Es sei eine verbreitete Strategie, Kritik an Rassismus als totalitär zu brandmarken. «Damit wird sie abgewehrt, auf dem Scheiterhaufen entsorgt. Genau so sind die Hassmails, die ich derzeit bekomme.»