Jugend und Sex«Freundschaft plus hat etwas Ungezwungenes»
Jeder Zehnte unter 24 schläft mit guten Freunden. Psychologin Eveline von Arx weiss warum.
Frau von Arx*, 40 Prozent der 14- bis 24-Jährigen haben erst Sex, wenn sie in einer Beziehung sind. Erstaunt Sie das?
Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass die Jugendlichen heutzutage gleich mit jedem ins Bett springen. Aus meiner Tätigkeit mit Jugendlichen weiss ich, dass sich ein grosser Teil gerade auch das erste Mal innerhalb einer Beziehung wünschen. Sie wollen in einem vertrauten Rahmen Sex haben, mit einer Person, für die sie Gefühle empfinden.
Dennoch haben immerhin 40 Prozent bereits bei einem One-Night-Stand oder mit einer Affäre Sex.
Sexuelle Erfahrungen können ja durchaus auch in Bekanntschaften gemacht werden, die von kürzerer Dauer oder weniger verbindlich sind.
Jeder Zehnte gibt an, mit «guten Freunden» zu schlafen oder Oralsex zu haben. Was muss man sich darunter vorstellen?
Man vergnügt sich mit jemandem, der einem vertraut ist und zu dem eine gute Verbindung besteht – ohne dass man nach aussen als Paar auftritt. Diese Freundschaft plus hat etwas Unbeschwertes, Ungezwungenes.
Ist bei Sex unter Freunden nicht oft bei zumindest einem doch etwas Gefühl dabei?
Vielleicht sind sogar beide ein wenig verliebt! Aber sie haben einfach keine Lust, sich zu binden. Solange sich keiner unter Druck fühlt, in einer Freundschaft mehr zu geben als er will, ist alles im grünen Bereich.
Die Mehrheit der Jugendlichen braucht nicht die grosse Liebe für Sex. Auf Sex gegen Geld haben die meisten aber keinen Bock: 60 Prozent der jungen Männer geben an, dass sie nie für Sex bezahlen würden. 55 Prozent finden es problematisch, Prostitution in Anspruch zu nehmen. Warum diese Skepsis?
Offenbar ist die Käuflichkeit von Sexualität für die meisten jungen Männer keine Option. Vielleicht ist ihnen diese Beziehungsform zu begrenzt.
Ausländer (24%) und Schweizer mit Migrationshintergrund (26%) bezahlen gemäss der Umfrage häufiger für Sex als Schweizer (14%). Was könnten die Gründe dafür sein?
Da bin ich überfragt. Dazu müsste man wirklich weitere qualitative Befragungen durchführen und mit den betroffenen Männern sprechen.
Auch junge Frauen sind von Prostitution betroffen. Fünf Prozent geben an, mindestens schon einmal Geld oder Geschenke gegen sexuelle Leistungen angenommen zu haben, jede Zehnte schliesst dies nicht aus. Was denken Sie darüber?
Ob es moralisch verwerflich ist, wenn die Frau mit jemandem Sex hat und dafür eine Label-Tasche geschenkt bekommt – darüber möchte ich nicht urteilen. Wenn ich eine Tochter hätte, die solche Deals einginge, würde ich sicher das Gespräch mit ihr suchen und sie fragen, warum sie das mache, welche Bedürfnisse sie dazu bewegten und was sie sich davon erhoffe.
Die Umfrage zeigt weiter: 88 Prozent der 14- bis 24-jährigen Männer schauen Pornos, 57 Prozent mindestens zwei- bis dreimal die Woche. 17 Prozent aller Jugendlichen würden sich als porno- oder sexsüchtig bezeichnen. Ab wann sollte man handeln?
Spätestens wenn man dadurch die Schule, Lehre, Arbeit, aber auch Freundschaften und Hobbys merklich vernachlässigt, sollte man etwas ändern und sich allenfalls auch Hilfe suchen. Gerade den ganz Jungen müssen Eltern und Schule bewusst machen, dass das, was sie da sehen, nicht der Realität entspricht. Die Bilder könnten sie sonst unnötig unter Druck setzen, gerade weil ihnen die Erfahrung fehlt.
Das Verhältnis zwischen jungen Männern und Frauen scheint hierzulande entspannt: Beide Geschlechter fühlen sich gegenseitig mehrheitlich respektiert. Einer von zehn Männern aber fühlt sich von Frauen respektlos behandelt. Wann ist das der Fall?
Wenn sie das Gefühl haben, dass die Frauen mit ihnen spielen, sie ausnutzen, sie herablassend behandeln. Diese Form des fehlenden Respektes ist kränkend und kann sich auf subtile Weise äussern. Viele Männer reden dann auch nicht darüber, weil sie allenfalls befürchten, als Weicheier abgestempelt zu werden.

Eveline von Arx ist Erziehungswissenschaftlerin und Psychologin. Sie arbeitet als Beraterin für Jugendliche und leitete zwischen 2003 und 2008 das Dr. Sommer Team bei Bravo.