Zu kompliziertHightech-Bedienung überfordert Autofahrer
Drei Viertel der Lenker lassen sich durch die moderne Technik im Auto ablenken. Das soll für viele Unfälle verantwortlich sein.
Mehr als 100 Knöpfe rund um den Fahrersitz, riesige Touchscreens und vernetzte Systeme, die E-Mails oder SMS vorlesen oder Daten über Head-up-Displays auf die Scheibe projizieren: Moderne Autocockpits stecken voller Elektronik und komplizierter Bediensysteme. All das soll eigentlich das Autofahren erleichtern.
Doch eine Studie der Allianz-Versicherung zeigt: Was helfen soll, lenkt auch von der eigentlichen Aufgabe im Auto ab, dem Fahren. Dies geben drei Viertel von 1600 Befragten in der Schweiz, Deutschland und Österreich an. «Je vielfältiger die Technik und je komplexer die Bedienung, desto höher ist die Ablenkung im Strassenverkehr», sagt Mathias Scheuber von der Allianz zu Studie.
Ablenkung zweithäufigste Hauptunfallursache
Die Verfasser machen denn auch die Ablenkung durch Technik im Auto und durch das Handy dafür verantwortlich, dass die Unfallzahlen zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder gestiegen sind – auch in der Schweiz. So gab es 2014 insgesamt 51'756 Unfälle, 2015 waren es laut Astra rund 1500 mehr, nämlich 53'253 Unfälle.
Und: Die Ablenkung ist mit 8462 Unfällen nach der Missachtung des Vortrittsrechts (8539) die zweithäufigste Hauptunfallursache. Besonders problematisch an diesem Umstand: Abgelenkte und Unaufmerksame verursachen besonders viele Fussgängerunfälle – jene Gruppe, in denen die Zahl der Todesfälle zugenommen hat.
Die Allianz verlangt darum die Bedienung der verbauten Geräte zu harmonisieren und zu vereinfachen. So könnten diese typischen Unfälle und deren Folgen reduziert werden.
«Hightech-Auto ist eine faule Ausrede»
Für Thomas Rohrbach Sprecher des Bundesamts für Strassen Astra bieten moderne Fahrzeuge tatsächlich eine Fülle von Funktionen, die «durchaus Ablenkungspotenzial aufweisen können». Es liege auch in der menschlichen Natur, sich ablenken zu lassen.
«Hier muss sich jeder bewusst sein, dass die einzige Aufgabe des Menschen am Lenkrad die sichere Bedienung des Fahrzeugs ist.» Alles andere sei fakultativ und unter vielen Umständen ablenkend. Für Rohrbach ist es denn auch eine faule Ausrede, dem modernen Auto die Schuld zuzuschieben. Die Regel, die es zu befolgen gelte, sei ganz einfach: «Augen auf die Strasse, beide Hände am Lenker.»
«Wir können den Menschen nicht ändern»
Anders sieht dies Ferdinand Dudenhöffer, Autoexperte und Professor an der Universität Duisburg-Essen: «Heute kann man beim Autofahren 1000 Dinge einstellen oder verstellen, das ist verlockend.» Das reiche vom Musik-Suchen bis zur Fein-Einstellung der Heizung oder des Navigationsgeräts: «Die Möglichkeiten sich abzulenken sind deutlich grösser geworden.»
Die Hoffnung, der Mensch tue dies aus Vernunft nicht, dürfe man getrost begraben. «Er lässt sich leicht ablenken und wir können ihn nicht ändern.» Es gebe zwar immer mehr Möglichkeiten, den Lenker daran zu hindern, ablenkende Tätigkeiten auszuführen. «Neue Autos haben jetzt Sensoren, die solche Tätigkeiten bemerken oder die Bedienung des Navis während der Fahrt nicht erlauben.»
Roboterautos als Lösung
Aus seiner Sicht gibt es aber nur eine sichere Lösung gegen Ablenkung am Steuer: «Roboter übernehmen so bald wie möglich das Fahren. Sie lassen sich auch nicht von einer hübschen jungen Frau oder einem Unfall auf der Gegenseite beeindrucken.»
Dadurch werden die Befragten am Steuer abgelenkt:
85 Prozent durch soziale Ablenkung (36 Prozent durch agressive Stimmung)
75 Prozent durch fahrzeugseitige Technik bzw. vernetzte Musikabspieltechnik
Telefonierende (54 Prozent) und Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien nutzende (27 Prozent) Mitfahrer
51 Prozent durch eigenes Telefonieren
47 Prozent durch anderweitige Nutzung des Handys
30 Prozent durch Freisprechanlage, Vernetzungsmöglichkeiten und die Kontrolle des Handys ohne zu antworten
Quelle: Allianz Ablenkungs-Studie 2016