Darum schlagen linke Extremisten heftiger zu

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AusschreitungenDarum schlagen linke Extremisten heftiger zu

Gewalttätige Aktionen von Linksextremen häufen sich. Ein Aussteiger und Fachleute äussern sich zu den Gründen.

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Der jüngste Vorfall in Zürich liegt wenige Tage zurück. Am Samstagabend bewarfen Vermummte Polizisten mit Steinen sowie Knallpetarden und blendeten sie mit Laserpointern. Drei Beamte erlitten Verletzungen am Gehör. Im Dezember 2014 verursachten in Zürich Chaoten der Bewegung Reclaim the Streets einen Sachschaden von über einer Million Franken, sie verletzten sieben Polizisten. Und im März 2013 lieferten sich an einer Demo für das besetzte Fabrikgebäude auf dem Binz-Areal randalierende Demonstranten und die Polizei der Stadt Zürich Scharmützel.

Dass der 1. Mai längst nicht mehr der einzige Tag ist, an dem linksautonome Kreise ihre Krallen ausfahren, bestätigt auch der Lagebericht «Sicherheit Schweiz 2015» des Nachrichtendiensts des Bundes (NDB). Im Jahr 2014 registrierte der NDB 218 Ereignisse im Bereich des gewalttätigen Linksextremismus, was einer Zunahme von rund fünf Prozent entspricht. Das Gewaltspektrum reicht von Farbanschlägen über Brandanschläge mit unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen bis zu körperlicher Gewalt gegen Personen, vor allem Polizisten.

Aufgeladenes Klima

Warum brodelt es in der linksextremen Szene seit einiger Zeit derart? Extremismus-Experte Samuel Althof führt die Gewaltexzesse auf ein gesellschaftlich aufgeladenes Klima zurück. «Im Moment dominieren die SVP und Rechtsaussenpolitiker die Diskussion.» Die linke Szene fühle sich von der rechten Stimmung bedroht.

Adrian Oertli war mehrere Jahre Mitglied in linksextremen Kreisen. Der 35-Jährige sagt: «Durch das Erstarken der Juso und das Aufkommen weiterer Kräfte, die das System auf dem parlamentarisch-demokratischen Weg kritisieren, haben die linksautonomen Organisationen eine Identitätskrise.»

«Staat verantwortlich für das Böse in der Welt»

Laut Extremismus-Experte Samuel Althof legitimiert etwa die antikapitalistische Organisation «Revolutionärer Aufbau» Gewalt klar. Das deckt sich mit Adrian Oertlis Erfahrungen. Mit den gewalttätigen Aktionen versuchten die linksextremen Organisationen, sich von den «verräterischen Reformisten» abzugrenzen, sagt Oertli. Wer nicht bereit sei, Gewalt anzuwenden, könne es nicht ernst meinen mit der sozialen Gerechtigkeit und werde die Unterdrückten früher oder später verraten. «Der Staat wird für alles Böse in der Welt verantwortlich gemacht.» Erlösung gebe es nur in einer Revolution.

Oertli bezeichnet seine Zeit in der Organisation als «sektenähnliche Erfahrung». Die Mitglieder seien subtilen Manipulationen ausgesetzt: Es wird ihnen etwa der privilegierte Status, den sie im Vergleich zum Rest der Welt geniessen, vorgeworfen. Schon allein dadurch, dass sie in der Schweiz leben, gehe es ihnen viel besser als vielen anderen auf der Welt. «So bringt die Organisation einen durch Gruppendruck schnell dazu, Gesetze zu übertreten.» Danach sei man viel empfänglicher für Ideologien, die im Staat das Böse sehen. Vor Gewaltaktionen habe er sich aber drücken können. «Mutpunkte sammeln konnte ich im Gummischrot-Hagel der Polizei.»

«Das sind keine Linken»

«In den letzten 50 Jahren hat damit keine einzige Organisation ihre Ziele erreicht», sagt Samuel Althof. Auch die Juso verurteilt die linksextreme Gewalt. «Soziologiestudenten von der Goldküste, die meinen, sie seien links, wenn sie Radau machen, haben nichts mit den Linken zu tun», sagt Präsident Fabian Molina. Die Chaoten brächten positive Veranstaltungen in Verruf.

Dass Adrian Oertli die Gewalt kritisierte, führte zu seinem Ausstieg. Er habe gefragt, warum seine Organisation auf den demokratischen Weg verzichte. Zur Antwort habe er erhalten: «Wenn du das in Erwägung ziehst, gehörst du nicht zu uns.»

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