«Es braucht Leute, die Kompromisse schmieden»

Aktualisiert

Lob für die Mitte«Es braucht Leute, die Kompromisse schmieden»

Smartvote-Politologe Daniel Schwarz singt ein Loblied auf die «Windfahnen»: Ohne sie hätten wir eine grosse Blockade à la USA. Die Standhaften hingegen stünden am Ende mit leeren Händen da.

Simon Hehli
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Simon Hehli
Ein Prosit mit Milch: Mittepolitiker wie Hansjörg Hassler (Mitte) und Christophe Darbellay erfüllen eine wichtige Funktion im Schweizer Politiksystem. Sie ermöglichen Kompromisse.

Ein Prosit mit Milch: Mittepolitiker wie Hansjörg Hassler (Mitte) und Christophe Darbellay erfüllen eine wichtige Funktion im Schweizer Politiksystem. Sie ermöglichen Kompromisse.

Im Ranking, das Sie erstellt haben, schneiden Vertreter der Mitteparteien schlecht ab. Warum?

Daniel Schwarz: Einerseits weil viele Mittepolitiker im Smartvote-Fragebogen mit «eher Ja» oder «eher Nein» antworteten. Dadurch ergibt sich jeweils eine kleine Differenz zum Resultat einer Abstimmung im Rat, weil man da nur Ja oder Nein sagen kann. Andererseits haben Vertreter von CVP, BDP, GLP und FDP meist keine in Stein gemeisselten Haltungen.

Sie sind also Wischiwaschi-Politiker?

Ich würde das nicht so negativ bewerten. Die Rangliste sagt nichts darüber aus, ob ein Nationalrat gut oder schlecht ist. Es geht um verschiedene Qualitäten: Die einen Politiker sind ideologisch standfest – und kommen in unserem Ranking dementsprechend gut weg. Aber es braucht auch die anderen: Jene, die nicht alles schwarzweiss sehen und einen Kompromiss schmieden können.

Weil es sonst zu einer Blockierung der Politik wie in den USA kommt?

Ja. Politiker, die kein Jota von der eigenen Meinung abweichen, stehen am Schluss mit leeren Händen da. In der Schweiz hat ja keine Partei auch nur annähernd eine Mehrheit, eine Zusammenarbeit ist deshalb unabdingbar. Bezeichnenderweise sind nicht jene Parlamentarier die erfolgreichsten, die in unserem Ranking oben stehen. Es ist typisch, dass die Mitteparteien mit ihrer flexiblen Haltung die meisten Abstimmungen gewinnen – sowohl im Parlament wals auch vor dem Volk.

Dennoch: Hintergeht ein Politiker, der im Rat das Gegenteil von dem macht, was er auf Smartvote versprochen hat, nicht seine Wähler?

Nein, da widerspreche ich dezidiert. Erstens hat niemand ein absolut katastrophales Ergebnis erzielt: Keiner ist vom Linksliberalen zum Rechtskonservativen mutiert. Zweitens weiss ein Politiker nicht immer, was ihn im Rat erwartet. Wenn er sich durch bessere Argumente von einer anderen Haltung überzeugen lässt, spricht das nicht gegen ihn.

Wenn ich einen Politiker wähle, weil er für den Atomausstieg ist, und er dann umkippt, komme ich mir verschaukelt vor.

Als Wähler will man die Quadratur des Kreises: Der Gewählte soll standfest sein, aber auch Lösungen erarbeiten. Beides zusammen geht nun mal nicht.

Auffallend am Ranking ist, dass viele Neulinge auf den hinteren Rängen landen. Woran liegt das?

Ausserhalb des Parlaments ist man weniger der Kontrolle durch die Parteien unterworfen. Sitzt ein Neuling dann im Rat, merkt er schnell, dass er in gewissen Punkten von der Parteilinie abweicht. Um keinen Krach zu riskieren, gibt er halt nach.

Wie wir gesehen haben, kippen Mittepolitiker häufiger. Der Umkehrschluss funktioniert aber nur bedingt: Auf den Polen sind die Linken standfester als die SVPler.

Es ist möglich, dass die Linken vor den Wahlen bereits geschlossener sind als die rechten Kandidaten und dementsprechend nicht auf die Parteidoktrin eingeschworen werden müssen. Ich würde das Resultat der SVP aber nicht überbewerten. Wir konnten für unsere Auswertung nur 15 von 75 Smartvote-Antworten verwenden, weil es für die restlichen 60 in den vier untersuchten Sessionen keine entsprechenden Abstimmungen gab. Ausserdem haben viele Nationalräte aus dem innersten Kreis der SVP – etwa Blocher, Brunner oder Mörgeli – den Smartvote-Fragebogen nicht ausgefüllt. Von ihnen ist zu erwarten, dass sie sehr linientreu abstimmen.

Sie konnten nur einen kleinen Teil der Abstimmungen mit passenden Wahlversprechungen vergleichen – wie aussagekräftig sind Ihre Resultate überhaupt?

Wenn man das Gesamtbild der Parteien anschaut, entsprechen die Resultate etwa dem Erwartbaren – eben wohl mit Ausnahme der SVP. Bei den einzelnen Personen würde ich von einer Momentaufnahme sprechen. Die einen hatten bei der bisherigen Thementraktandierung mehr Glück als andere: Die Nationalräte neigen dann zu Abweichungen, wenn es in einer Abstimmung nicht um ihre eigenen Kernthemen geht. Über die vierjährige Legislatur hinweg wird sich das ausgleichen.

Sie pressen Parlamentarier mit Smartvote in ein relatives enges Schema – wird das der Komplexität der Politik gerecht?

Natürlich ist die Politik komplexer als alles, was wir abbilden können. Eine Smartspider-Grafik zeigt nicht alle Facetten eines Politikers. Aber sie dient als Orientierungshilfe – gerade für Stimmbürger, die sich im Parteiensystem nicht so gut auskennen.

Es gibt aber auch Widerstand gegen Ihren Versuch, die Politik auf Zahlen und Grafiken zu reduzieren: Viele Ständeräte wehren sich auch deswegen gegen die Einführung einer elektronischen Abstimmungsanlage.

Es ist immer unangenehm, wenn man wegen seines Abstimmungsverhaltens unter Druck gerät. Aber auch im Ständerat findet ein Meinungswandel statt: Bereits tritt gut die Hälfte für einen Systemwechsel ein. Jene, die sich noch wehren, argumentieren, dass es mit einer Offenlegung der Stimmen ideologischer zu- und hergehen werde. Dem widersprechen die Erfahrungen in den USA: In der kleineren Kongresskammer, dem Senat, gibt es einen ähnlich kollegialen Umgang wie im Ständerat, obwohl es dort schon lange Transparenz über das Abstimmungsverhalten gibt. Die derzeitige Verhärtung der Fronten hat also nichts mit der Transparenz zu tun. Die Ständeräte sollten weniger Angst vor Veränderungen haben.

Die Serie

Im Auftrag von 20 Minuten hat Politools ausgewertet, wie genau die Nationalräte ihre Wahlversprechen auf Smartvote bei den Abstimmungen eingehalten haben. In einer kleinen Serie, die mit diesem Interview endet, publizieren wir die Ergebnisse.

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