«Heute bist du aber nett angezogen»

Aktualisiert

#SchweizerAufschrei«Heute bist du aber nett angezogen»

SP-Nationalrätin Mattea Meyer bekommt in der Politik immer wieder sexistische Sprüche zu hören. Sie erklärt, was der «Aufschrei» bringen soll.

B. Zanni
von
B. Zanni
Insbesondere von  Männern aus dem rechten Lager bekommt SP-Nationalrätin Mattea Meyer ab und zu Kommentare zu hören wie: «Heute bist du aber nett angezogen», «Du trägst schöne Stiefel» . Auch kommentieren sie ihr Aussehen mit «hübsch» oder «charmant».
«Männer, die mich beim täglichen Joggen am Fluss belästigten, bis ich nur noch nachts joggte. Im Dunkeln, im Wald», lautet der Tweet einer Betroffenen. (Symbolbild)
Unter dem Hashtag #SchweizerAufschrei auf Twitter und Instagram fordern Verteidigerinnen der Frauenrechte eine Sexismusdebatte nach deutschem Vorbild. Der deutschen Aufschrei-Debatte ging ein Bericht der Journalistin Laura Himmelreich voraus.
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Insbesondere von Männern aus dem rechten Lager bekommt SP-Nationalrätin Mattea Meyer ab und zu Kommentare zu hören wie: «Heute bist du aber nett angezogen», «Du trägst schöne Stiefel» . Auch kommentieren sie ihr Aussehen mit «hübsch» oder «charmant».

Keystone/Alessandro Della Valle

Frau Meyer, in einem Tweet unter dem Hashtag #SchweizerAufschrei erzählen Sie von «Kollegen» im Rat, die Sie kichernd fragten, wann es Nacktbilder von Ihnen gebe. Was ist genau passiert?

Als ich noch Kantonsrätin in Zürich war, folgten mir zwei Kantonsräte nach einer Sitzung. Sie kicherten und sagten zueinander: «Nein, sag du es.» Dann fragte mich der eine: «Wann gibt es Nacktbilder von dir?» Anlass war ein Nackt-Protest der Juso. Ich kam mir vor wie auf dem Schulhof.

Wie reagierten Sie?

Ich gab ihnen zu verstehen, dass ich empört war, schüttelte den Kopf und liess sie stehen.

Warum wiesen Sie die Kollegen nicht in die Schranken?

Die eigentliche Frage müsste sein: Warum sind die Ratskollegen so respektlos und fühlen sich berechtigt, mich sexuell zu belästigen? Ich bereute zudem, dass ich nicht heftiger reagierte. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass Sexismus als Normalität angeschaut wird. Aber solche Vorkommnisse erleben viele Frauen häufig auf subtilere oder weniger subtile Weise. Es ist ermüdend, dauernd gegen solche Sprüche ankämpfen zu müssen.

Wo erlebten Sie sonst noch Sexismus?

Sexismus ist Alltag und macht auch vor dem Nationalrat nicht halt. Insbesondere von Männern aus dem rechten Lager bekomme ich ab und zu Kommentare zu hören wie: «Heute bist du aber nett angezogen», «Du trägst schöne Stiefel» oder sie kommentieren mein Aussehen mit «hübsch» oder «charmant».

Sind Sie nicht etwas überempfindlich? Es könnten auch nur nette Komplimente sein.

Es ist kein Kompliment, wenn Frauen auf ihr Aussehen reduziert werden und ihnen damit signalisiert wird, dass Politik der Raum der Männer ist und bleiben soll. Schliesslich sagte mir ein Ratskollege nach einer Abstimmung einmal: «Du bist auch noch ein Nettes. Wir haben dir zugestimmt, weil du uns leidgetan hast.» Das ist entwürdigend. Aber ich bin längst nicht die Einzige, die solche Dinge erlebt. Über eine Ratskollegin wurde gesagt, der müsse man es «mal wieder besorgen», weil einem Gegner eine politische Forderung nicht passte.

Machen Sie privat ähnliche Erfahrungen?

Wie viele andere Frauen finde ich es belästigend, wenn einem Typen auf der Strasse nachpfeifen oder man sich im Ausgang bedrängt fühlt. Es ist auch unangenehm, wenn man an der Bushaltestelle wartet und merkt, wie einen ein Typ anstarrt, sich dieser dann im sonst leeren Bus neben einen setzt und erst zu starren aufhört, wenn man ihn lauthals wegschickt. So geht es nicht nur mir. Die vielen Erfahrungen von Frauen in ihrem Alltag werden durch den Schweizer Aufschrei sichtbar.

Haben Sie Angst, wenn Sie abends allein unterwegs sind?

Aussagen wie die von SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler, dass vergewaltigte Frauen mitschuldig seien, schaffen bei vielen Frauen eine Stimmung der Verunsicherung. Dabei haben wir das Recht, uns gleich frei wie die Männer zu fühlen und zu bewegen.

Was braucht es ausser einem «Aufschrei», um das zu erreichen?

Das Thema muss in der Politik und Gesellschaft breit diskutiert werden. Auch braucht es in den Schulen einen Aufklärungsunterricht, der über die Biologie hinausgeht. Mädchen und Buben muss klar gemacht werden, dass ein «Nein» akzeptiert werden soll.

SVP-Nationalrätin Natalie Rickli freut sich, wenn die Feministinnen künftig im Parlament für Strafrechtsverschärfungen stimmen. Werden Sie das tun?

Anstatt eines Täterschutzes, wie ihn Andrea Geissbühler betreibt, braucht es einen stärkeren Opferschutz. Leider hat die SVP verhindert, dafür genügend Ressourcen zu sprechen.

Claudio Zanetti (SVP) empfindet es als ebenso sexistisch, wenn eine Frau im Bus die andere fragt: «Soll ich dir einen schönen Spanier mitbringen?» Hat er recht?

Natürlich. Sexismus ist nicht per se an das weibliche Geschlecht gebunden.

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