«Wenn der Deal Genfood zulässt, dann ist er tot»

Aktualisiert

Reaktionen zu TTIP«Wenn der Deal Genfood zulässt, dann ist er tot»

Greenpeace hat geheime Details im TTIP-Verhandlungspoker veröffentlicht. In der Schweiz ist man gespalten über das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA.

von
bee

Die von Greenpeace enthüllten TTIP-Dokumente sind in der Schweiz unterschiedlich aufgenommen worden: Die Skeptiker des Freihandelsabkommens sehen sich in ihren Ängsten bestätigt. Die Befürworter hingegen sprechen von einer «übertriebenen Aufregung» und «ganz normalen Verhandlungsstrategien».

Entsprechend unterschiedlich sind die Haltungen bezüglich der Schweizer Strategie zu TTIP: Die Grünen Schweiz lehnen «eine Beteiligung der Schweiz an TTIP kategorisch ab», heisst es in einer Mitteilung. Skeptisch ist auch die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS). Die Schweizer Bauern sind beunruhigt.

Gleich lange Spiesse

Anders klingt es bei Wirtschaftsvertretern: «Unsere Schweizer Firmen brauchen gleich lange Spiesse», sagte Martin Naville, Chef der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer. Falls TTIP zustande komme, müsse die Schweiz dabei sein. Gleicher Meinung ist der Branchenverband Handel Schweiz.

Beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hiess es, dass wenn «TTIP zustande kommt, mit einer Benachteiligung der Schweizer Wirtschaft zu rechnen ist.» Derzeit untersuche eine aus Leuten verschiedener Departemente zusammengesetzte Arbeitsgruppe unter der Leitung des Seco, welche Auswirkungen TTIP auf die Schweiz haben könnte.

Zuversicht beim Seco

Gleichzeitig zeigte sich das Seco zuversichtlich, dass ein Mitmachen der Schweiz bei TTIP möglich sein sollte. Vertreter beider Parteien hätten angetönt, dass TTIP für Drittstaaten offen sein sollte. Bisher hätten aber weder die EU noch die USA entschieden, wie sie zum Beitritt von Drittstaaten stünden.

Sicher ist, dass die Schweiz bei TTIP nicht mitreden kann. Ihre Optionen dürften sich auf ein Ja oder ein Nein zum fertig ausgehandelten Vertragspaket beschränken. Wie dieses Vertragswerk aussehen wird, ist offen. Die Verhandlungen sind nicht öffentlich. Auch deshalb ist TTIP umstritten und gibt immer wieder Anlass zu Demonstrationen.

Zu den grössten Kritikern zählen Umweltschützer – unter anderem Greenpeace. Die Organisation hat am Montag in einem Glaskasten am Brandenburger Tor ein Konvolut geheimer Verhandlungspapiere zu TTIP öffentlich gemacht. Gleichzeitig forderte Greenpeace, die Verhandlungen zu TTIP abzubrechen.

Standards aushöhlen

Die Papiere zeigten, dass TTIP europäische Umwelt- und Konsumentenschutz-Standards aushöhle – beispielsweise das Vorsorgeprinzip, das es ermöglicht, Produkte bereits dann zu verbieten, wenn es Hinweise auf deren Schädlichkeit gibt, kritisiert die Naturschutzorganisation. In den USA werden Produkte erst verboten, wenn die Schädlichkeit wissenschaftlich bewiesen ist.

Die Grünen Schweiz und die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) teilen diese Bedenken. Ein Dorn im Auge sind ihnen ihnen auch die umstrittenen privaten Schiedsgerichte. Firmen sollen diese anrufen können, wenn sie durch Gesetze ausländischer Regierungen ihr Eigentum bedroht sehen. Kritiker sehen die Schiedsgerichte als eine Art Schattengerichte.

Die EU setzt sich dafür ein, dass die privaten Schiedsgerichte durch ein öffentliches Modell ersetzt werden. Gemäss den Greenpeace-Papieren wurde über diesen Vorschlag der EU aber noch gar nicht gesprochen. «Wenn sich die Variante der privaten Schiedsgerichte durchsetzt, dann könnten all die demokratisch erkämpften Umwelt-, Hygiene- oder Arbeitnehmerstandards wieder angefochten werden», sagte SKS-Geschäftsleiterin Sara Stalder.

Bauern beunruhigt

Die Schweizer Bauern – traditioneller Stolperstein von Freihandelsabkommen – sind nicht grundsätzlich gegen ein Freihandelsabkommen, wie Francis Egger vom Schweizer Bauernverband (SBV) sagte. Sollten die Einfuhrkontingente und -zölle jedoch komplett wegfallen, dann könnten die hiesigen Bauern preismässig nicht mithalten.

In diesem Fall könnte rund ein Drittel der Schweizer Bauernbetriebe verschwinden. Der Bauernverband hielt zudem fest, die Schweizer Konsumenten wünschten keine Gentech-Nahrungsmittel. Solche könnten dann auf den europäischen Markt kommen, wenn die USA ihre Standards beim Konsumentenschutz durchsetzen können.

Konsument muss entscheiden

Jean-Marc Probst, Präsident von Handel Schweiz, hält dem entgegen, es liege am Konsumenten zu entscheiden, welche Produkte er kaufe, und nicht am Staat. Martin Naville, Chef der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer, glaubt zudem nicht, dass Genfood nach Ende der Verhandlungen noch Teil des Abkommens sein wird. Schliesslich müsse das Abkommen ja demokratisch abgesegnet werden.

«Wenn der Deal Genfood zulässt, dann ist er politisch tot», sagte Naville. Das Thema sei emotional so aufgeladen, niemand werde die jahrelangen Verhandlungen aufs Spiel setzen, und diesen Punkt im Abkommen drin lassen.

Dass die USA derzeit beim Genfood und anderen umstrittenen Fragen noch auf ihrem Standpunkt beharre, sei nur logisch. «In solchen Verhandlungen schlachtet man die heiligsten Kühe immer erst ganz am Schluss», sagte Naville.

«Normale Verhandlungsstrategie»

Entsprechend sei die Aufregung über den Inhalt der publizierten Dokumente völlig übertrieben. Dass Washington beispielsweise die Exporterleichterungen für die europäische Autoindustrie in Frage stelle, um zu erreichen, dass die EU mehr US-Agrarprodukte abnehme, sei eine normale Verhandlungsstrategie.

Naville glaubt sogar, dass die Enthüllung der geheimen Dokumente Teil der Verhandlungstaktik sei. Da wolle jemand «von europäischer Seite Druck auf die Amerikaner ausüben», sagte er. Greenpeace gab nicht preis, woher sie die Verhandlungsdokumente erhalten hat. (bee/sda)

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