Arbeitende Männer fühlen sich als Rabenväter

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Kinder und KarriereArbeitende Männer fühlen sich als Rabenväter

Der Spagat zwischen Kind und Karriere war lange nur ein Frauenthema. Heute geht es dem Mann nicht anders: Arbeitet er zu viel, hat er ein schlechtes Gewissen.

von
Tanja Bircher
Väter möchten mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, haben aber Mühe, im Job zu reduzieren.

Väter möchten mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, haben aber Mühe, im Job zu reduzieren.

Das erste Wort, der erste Schritt, der erste Schultag – viele Väter verpassen diese historischen Momenten ihrer Sprösslinge. Sie müssen arbeiten, das Geld nach Hause bringen. So war es lange und ist es häufig auch heute noch. «Doch viele Männer wollen vermehrt für ihre Kinder da sein, sie aufwachsen sehen und auch an der Erziehung teilnehmen», sagt Familienpsychologe Erhard Grieder.

Dies gestaltet sich aus verschiedenen Gründen schwierig. Einerseits ist es für Männer noch immer eine grosse Hürde, im Job reduzieren zu können. «Teilzeitarbeit in der Schweiz ist – leider – nach wie vor ein Karrierekiller», sagt Jürg Wiler, Leiter von Teilzeitmann.ch. Das liege vorab an den Chefs und an der Unternehmenskultur. Dort herrsche eine strenge Präsenzkultur: Als guter Chef gelte, wer zu mindestens hundert Prozent verfügbar sei.

«Sie schleppen ein schlechtes Gewissen mit sich herum»

Andererseits stelle auch die geringe gesellschaftliche Akzeptanz ein Problem dar, so Wiler. «Väter, die weniger arbeiten möchten, um für ihre Kinder da zu sein, werden von ihren Kollegen schnell als Waschlappen abgestempelt.»

Familienpsychologe Grieder sagt, dies habe mit dem Leistungsdenken der Männer zu tun. Ein hart arbeitender Mann, gelte nach wie vor als beeindruckender als einer, der zu Hause mit den Kindern im Sandkasten spiele. «Aus diesem Grund arbeiten viele Männer weiterhin 100 Prozent, schleppen aber konstant ein schlechtes Gewissen mit sich herum.»

Rabenmutter und Rabenvater

Dies bestätigt auch das Mannebüro Züri. «Der Spagat zwischen Familie und Beruf ist heutzutage auch für den Mann ein grosses Thema», sagt Männerberater Philipp Gonser.

Doch Grieder beobachtet auch einen starken Gegentrend. «Bis anhin waren es vor allem arbeitende Frauen, die sich von anderen anhören mussten, sie seien Rabenmütter.» Dieser Vorwurf richtet sich nun vermehrt auch an Väter. «‹Fühlst du dich eigentlich nicht schlecht, dass du den ganzen Tag arbeitest und nie zu Hause bist?›, fragen sie beispielsweise», sagt Grieder.

«Viele Männer fürchten sich vor dem Karriereknick»

Auch Wiler sagt, das Macho-Denken, ein Mann sei nur ein Mann, wenn er 100 Prozent arbeite, sei ein Auslaufmodell. «Sehr viele Männer wollen gerne Teilzeit arbeiten und setzen sich auch durch.» Dieser Schritt brauche aber nach wie vor Mut.

Laut dem Bundesamt für Statistik sind im letzten Jahr 4000 Schweizer Männer aus familiären Gründen neu in die Teilzeit eingestiegen – 10 Prozent mehr als im Vorjahr. Insgesamt 37'000 Väter oder jeder zehnte Vater arbeitet heute wegen seiner Kinder Teilzeit. Wiler ist überzeugt: «Viele andere möchten dies auch, fürchten sich jedoch vor dem Karriereknick.»

Zeit mit Kindern wirkt sich positiv auf Arbeit aus

Männer sollten nichts auf herablassende Kommentare ihrer Kollegen geben, sagen Grieder und Wiler. «Sie müssen dieses Gehabe durchschauen und verstehen, dass hier auch oft Neid mitspielt», sagt Grieder. Und Wiler betont: «Teilzeitarbeitende sind motivierter, loyaler und effizienter.» Aktiv Verantwortung in der alltäglichen Kinderbetreuung zu übernehmen, gebe zudem Kraft und das wirke sich auch positiv auf den Job aus.

Head Hunter Beat Lutz ergänzt: «Frauenförderung war einmal – heute sind familienkompatible Karrieremodelle für Frau und Mann angesagt.» Diejenigen Unternehmen und Arbeitgeber, die Teilzeitstellen auch für Männer offerierten, würden künftig von den jungen, gut ausgebildeten Personen als attraktive Arbeitgeber wahrgenommen und so zu den Gewinnern zählen.

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