Wer vom SVP-Plan profitiert – und wer zahlt

Aktualisiert

FamilieninitiativeWer vom SVP-Plan profitiert – und wer zahlt

Entlastet die Familieninitiative tatsächlich den Mittelstand oder profitieren nur die Reichen? Was die Initiative für Familien, Kantone und die Wirtschaft bedeuten würde.

von
Simon Hehli
Diese Kinder waren bei der Einreichung der SVP-Familieninitiative am 12. Juli 2011 dabei. Ihre Eltern könnten von der Vorlage profitieren - sofern sie bisher keine Abzüge für eine Fremdbetreuung der Kleinen geltend machen konnten.

Diese Kinder waren bei der Einreichung der SVP-Familieninitiative am 12. Juli 2011 dabei. Ihre Eltern könnten von der Vorlage profitieren - sofern sie bisher keine Abzüge für eine Fremdbetreuung der Kleinen geltend machen konnten.

Die SVP-Familieninitiative hat einen fulminanten Start in den Abstimmungskampf hingelegt: In der ersten SRG-Umfrage gaben fast zwei Drittel der Befragten an, am 24. November ein Ja in die Urne legen zu wollen. Das Forschungsinstitut gfs.bern, das die Umfrage erstellte, hält fest: Die Initianten profitieren derzeit noch von der praktischen Unsichtbarkeit der Nein-Kampagne. Und auch die Medien haben sich bisher vor allem auf die 1:12-Initiative konzentriert, über die das Volk am gleichen Tag abstimmen wird.

Die Zustimmung ist bei Personen mit mittlerem und tiefem Einkommen besonders hoch. «Die Initiative macht ein Angebot, das diese Bevölkerungsschichten als attraktiv empfinden», sagt Politologe Lukas Golder vom gfs.bern. Eltern, die ihre Kinder selber betreuen, statt sie in die Krippe zu geben, sollen Steuerabzüge geltend machen können: Ist dieses Angebot tatsächlich so attraktiv für Arme und den Mittelstand? Entscheidend wird sein, wie die Gemeinden und die Kantone die Initiative umsetzen würden.

Profitieren nur die Reichen?

Ein Blick nach Bern zeigt, wie das konkret aussehen könnte. Dort profitieren Familien, die ihren Nachwuchs in die Kita schicken, derzeit von einem Steuerabzug in der Höhe von maximal 3100 Franken pro Kind. Wollte Bern die Initiative kostenneutral umsetzen, würde der Kanton das Geld für die Abzüge einfach auf alle Kinder – also auch die Eigenbetreuten – aufteilen. Dann bliebe pro Kopf nur noch ein Abzug von 500 Franken übrig.

Für alle Kinder hingegen einen pauschalen Abzug von 3000 Franken zu gewähren, wie das so oder ähnlich bereits Nidwaldern, Wallis, Zug und Luzern praktizieren: Das würde für die anderen Kantone sehr teuer. Laut einer Rechnung der Finanzdirektorenkonferenz müssten sie und die Gemeinden mit Steuerausfällen von jährlich bis zu einer Milliarde Franken rechnen.

SP-Generalsekretärin Flavia Wasserfallen hält beide Varianten für schädlich. Die erste stelle jene Familien, die ihre Kinder fremd betreuen lassen, finanziell massiv schlechter als heute. Und die zweite nütze «vor allem den Reichen». Tatsächlich schenken Abzüge bei hohen Gehältern aufgrund der Progression mehr ein - allerdings ist der Unterschied gering. Ein Berner Einverdienerhaushalt mit einem Brutto-Einkommen von 150'000 Franken und zwei Kindern hätte durch den Abzug von 6200 Franken rund 1400 Franken mehr in der Kasse – ein Doppelverdiener-Haushalt mit zwei Einkommen von je 40'000 Franken «nur» 1200 Franken.

Entlastung für den Mittelstand?

Die heutigen Abzüge für die Fremdbetreuung zu kürzen, kommt für die Präsidentin der SVP-Frauen nicht in Frage: «Die Umsetzung unserer Initiative darf und soll etwas kosten», sagt Judith Uebersax. Sie kontert damit ebenfalls Vorwürfe, ihre Partei kämpfe mit der Initiative gegen Kinderkrippen. Sie strebe auch keine Steuergeschenke für Reiche an – und spricht sich deshalb für eine degressive Ausgestaltung der Abzüge aus: je höher das Einkommen, umso geringer würden diese ausfallen.

Nach dieser Interpretation des Initiativtexts ist die Gruppe der Gewinner gross. Dazu zählen jene Familien mit einer traditionellen Arbeitsteilung: Der Mann bringt das Geld nach Hause, die Frau kümmert sich um Kinder und Haushalt. Das sind laut Bundesamt für Statistik noch knapp 30 Prozent der Familien. Doch auch moderne Familien könnten profitieren – etwa solche, bei denen Mutter und Vater je 60 Prozent arbeiten und die Oma einen Tag lang die Kinder hütet. Doppelverdiener-Familien mit geringen Einkommen würden ebenfalls um ein paar hundert Franken entlastet.

Wirtschaft als Verlierer?

Verlierer wären bei dieser grosszügigen Variante die Säckelmeister der Kantone und Gemeinden. SP-Generalsekretärin Wasserfallen befürchtet, dass die Sparrunden die Bildung oder den öffentlichen Verkehr treffen würden. Möglicherweise würden aber auch Personen ohne Kinder verstärkt zur Kasse gebeten, wie SVP-Frau Uebersax durchblicken lässt: «Es ist richtig, wenn diese mithelfen, die Familien zu finanzieren – die Kinder sichern auch ihre AHV.» SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz betont, dass Familien, die ihre Kinder selber betreuen, dem Staat wesentlich mehr ersparen, als der neue Steuerabzug kostet. Die Stadt Zürich gibt für einen subventionierten Krippenplatz pro Jahr rund 20'000 Franken aus.

Zu den Verlierern könnte auch die Wirtschaft gehören. Je mehr gut ausgebildete Mütter zuhause blieben, umso schwieriger wird es für die Arbeitgeber, passendes Personal zu rekrutieren. Die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften hält in einer Studie fest: Bei einer Umsetzung der SVP-Initiative gäbe es in gut verdienenden Haushalte kaum noch Anreize, dass eine zweite Person ins Arbeitsleben einsteigt – etwa nach einem Schwangerschaftsurlaub.

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