«Extremsportler wollen Tod nicht herausfordern»

Publiziert

Tod von Ueli Steck«Extremsportler wollen Tod nicht herausfordern»

Ueli Steck stürzte am Sonntag zu Tode. Als Extremsportler ging er immer wieder grosse Risiken ein. Eine Sportpsychologin erklärt wieso.

von
J. Furer

82 Viertausender in zwei Monaten: So erklomm Ueli Steck die Gipfel. (Tamedia)

Frau Feldmann, sie sind seit neun Jahren als Sportpsychologin tätig und betreuen diverse Extremsportler. Auch Extremalpinisten wie es Ueli Steck war. Wie haben Sie die Nachricht von seinem Tod aufgenommen?

Wahrscheinlich wie jeder Schweizer. Ich war sehr betroffen. Jedoch weiss ich auch, dass bei Expeditionen immer ein gewisses Restrisiko besteht und so etwas passieren kann.

Als Normalbürger kann man irgenwie gar nicht verstehen, dass sich jemand trotz Wissen um dieses Risiko immer wieder solchen Gefahren aussetzt.

Das stimmt. Als Nicht-Extremsportler denkt man, dass das wahnsinnig oder gar nicht menschenmöglich ist. Aber Extremsportler bringen ja eine grosse Erfahrung mit und versuchen bei ihren Vorhaben das Risiko auch möglichst gering zu halten.

Wie funktioniert das?

Sie eignen sich viel Wissen an, beispielsweise auch über die Ernährung oder meteorologische Kenntnisse. Und durch die persönliche Erfahrung lernen sie, das Risiko einzuschätzen und zu minimieren. Von dieser hatte Ueli Steck viel mitgebracht. Extremsportler wollen nicht den Tod herausfordern, sondern etwas Aussergewöhnliches erreichen und Rekorde brechen.

Das kann ihnen auch zum Verhängnis werden.

Natürlich birgt das Extreme immer auch ein gewisses Risiko. Aber es gibt auch andere Bereiche, wo man sehen kann, dass Menschen nach immer mehr streben, auch normale Leute in ihrem Alltag oder in ihrer Karriere.

Aber was bringt einen Menschen dazu, sich immer wieder solchen Gefahren auszusetzen und den Tod herauszufordern?Menschen haben drei Grundmotive: Leistung, Anschluss und Macht, die jeweils unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Steck hatte vermutlich ein sehr hohes Leistungsmotiv. Er hatte den Antrieb, Leistung zu erbringen. Wenn er das geschafft hat, befriedigte ihn das. Aber klar, es besteht ein schmaler Grad zwischen dem, was noch normal und gesund ist und dem, was zu risikofreudig und gefährlich ist.

War Ueli Steck zu risikofreudig?

Er war ein sehr erfahrener Extremsportler und hat sicher alles gemacht, um das Risiko gering zu halten. Aber er war ein Sensation Seeker, also jemand, der nach der aussergewöhnlichen Erfahrung strebte. Das Suchen nach Risiko kann dazu gehören.

Was treibt einen Menschen an, solch ein Leben zu führen?Das lässt sich nicht so einfach erklären. Es kann durchaus sein, dass er Anerkennung suchte, für seine Rekorde und was er dafür investiert hat. Ich vermute jedoch, dass er vor allem extreme Erfahrungen bewusst gesucht hat.

Können Sie das ausführen?

Für unsere Vorfahren war es eine Herausforderung, sich essen zu beschaffen. Heute haben wir einen Kühlschrank. Sich das Essen zu besorgen, ist keine Herausforderung mehr. Deshalb suchen viele Menschen nach einer besonderen, manchmal sogar extremen Erfahrung in einem anderen Lebensbereich.

Spielt der Adrenalinschub auch eine Rolle bei der Suche nach einer extremen Erfahrung?

Sicher auch. Der Kick und die Herausforderung werden von Extremsportlern bewusst gesucht. Aber man darf nicht vergessen: Beim Extremalpinismus ist man über eine längere Zeit einem Vorhaben ausgesetzt. Das ist nicht der gleiche Kick wie bei einem Basejump.

Was ist es denn für einen Kick?

Bei einer Expedition braucht es ständige Konzentration, zum Beispiel bei Faktoren wie die Wetter- oder Schneeverhältnisse, aber auch eine Innenschau auf seinen Energiehaushalt. Diese ständige Fokussiertsein fordert viel, gibt aber auch ein Gefühl von ausserordentlicher Präsenz und intensivem Erleben. Und natürlich bringt das Gipfelerlebnis auch ein Hochgefühl mit sich.

Romana Feldmann ist Fachpsychologin für Sportpsychologie und

Mitglied der Swiss Association of Sport Psychology.

Deine Meinung zählt