«Die Schweiz wäre eine starke Wirtschaftsmacht»

Aktualisiert

Beitritt zur Schweiz«Die Schweiz wäre eine starke Wirtschaftsmacht»

Verschiedene Nachbarregionen wollen der Schweiz beitreten. Das würde das EU-Gefüge schwächen, sagt Politgeograf Michael Hermann.

von
Nicole Glaus

Nach Baden-Württemberg oder der Lombardei zeigt nun auch das Südtirol Interesse an einem Beitritt zur Schweiz. Wieso ist die Schweiz für das Ausland so attraktiv?

Hermann*: Ein Faktor ist die wirtschaftliche Stärke. Gerade in der Euro- und Wirtschaftskrise hatte sich die Schweiz als sehr robust erwiesen. Attraktiv ist zudem das politische System der Schweiz mit der direkten Demokratie und dem Föderalismus. Viele Nachbarregionen liegen weit weg von der eigenen Hauptstadt, sind kritisch gegen Europa eingestellt und haben oft ein konservatives, bürgerliches Profil.

Was wäre überhaupt nötig, damit eine Grossmacht Schweiz zustandekommt?

Es bräuchte eine starke separatistische Bewegung in den abtrennungswilligen Gebieten, die eine Mehrheit der eigenen Bevölkerung gewinnen muss. Auch beide betroffenen Staaten müssten auf nationaler Ebene einem Übertritt zustimmen. In der Schweiz bräuchte es dazu eine Volksabstimmung. Es ist nicht nur eine regionale Angelegenheit. Denn es gibt im internationalen Recht das Grundprinzip der territorialen Integrität der Staaten und der Unverletzlichkeit ihrer Grenzen. In Italien und Deutschland, anders als etwa in Grossbritannien, ist eine Abtrennung einer Region gar nicht vorgesehen. Das heisst, es müssten die Verfassungsgrundlagen dazu geschaffen werden.

Wenn nun alle Grenzregionen der Schweiz tatsächlich beitreten würden, wie sieht ein solches Szenario aus?

Das würde die Schweiz zu einer der stärksten Wirtschaftsmächte in Europa machen. Denn viele der Nachbarregionen, die Interesse an einem Beitritt der Schweiz äussern, sind selber die wirtschaftsstärksten in ihren eigenen Ländern – wie etwa Baden-Württemberg oder die Lombardei. Diese wirtschaftliche Stärke würde auch den politischen Einfluss der Schweiz stärken. Gleichzeitig würde aber sehr vieles in Frage gestellt, wenn sich auf einmal die wirtschaftsstarken Regionen ablösen und zusammentun würden. Zudem würde dies das EU-Gefüge verändern und schwächen. Wer weiss, welche Dynamiken dies auslösen würde.

Wie stehen die Chancen, dass Süddeutschland, das Südtirol, die Lombardei und Sardinien bald zur Schweiz gehören?

Das ist praktisch ausgeschlossen. Man sieht das selbst in Regionen, wo der Wille nach politischer Unabhängigkeit vom eigenen Staat gross ist, wie etwa Katalonien in Spanien oder Schottland in Grossbritannien. Dort basieren die Trennungswünsche auf historischen Gegebenheiten und selbst da sind die Hürden extrem hoch. Wenn es hart auf hart kommt – das zeigen vergangene Beispiele – dann ermöglicht der Zentralstaat mehr Autonomie und beruhigt die Gemüter. Eine Abtrennung passiert typischerweise aus einer Krisensituation, die mit Gewalt und Bürgerkriegen verbunden ist – etwa die Trennung des ehemaligen Jugoslawien.

Liegt es denn überhaupt im Interesse der Schweiz, ihr Staatsgebiet zu vergrössern?

Es gab in der Vergangenheit verschiedene Debatten etwa um die Aufnahme des Veltlin oder des Voralberg in die Schweiz. Ein Argument dagegen war damals, dass die Schweiz nicht noch mehr katholische Regionen wollte. Die Schweiz hat zwei Konfessionen, vier Sprachen und 26 Kantone. Dieser Flickenteppich der Kulturen hat sich über 150 Jahre eingependelt. Würden nun plötzlich andere, grosse Regionen dazustossen, würde dieses Gleichgewicht verschoben. Abstimmungen zu institutionellen Fragen zeigen zudem, dass die Schweizer Bürger diesbezüglich immer sehr konservativ entscheiden.

*Michael Hermann ist Politologe und Geograf an der Universität Zürich

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