Blocher zu DSI-Nein«Wir sind bequem geworden»
Das Volk hat überraschend deutlich Nein zur Durchsetzungs-Initiative gesagt. SVP-Übervater Christoph Blocher zeigt sich selbstkritisch.
Die Durchsetzungsinitiative der SVP ist gescheitert, mit 58,9 Prozent Nein-Stimmen nicht zu knapp. Die breite Gegnerschaft wertet das klare Verdikt als Sieg der Zivilgesellschaft – und sieht sich darin bestärkt, auch künftig geeint gegen ähnliche SVP-Volksbegehren anzukämpfen.
«Das Nein ist ein Sieg der Bürgerlichen und der Linken», sagte Beat Flach (GLP/AG) vom überparteilichen bürgerlichen Nein-Komitee. Nie zuvor hätten sich so viele Bürgerinnen und Bürger, so viele Organisationen und Verbände vor einer Abstimmung engagiert. Die Ablehnung der Durchsetzungsinitiative sei ein Signal dafür, dass die Stimmberechtigten das Prinzip der Gewaltentrennung und die Rechtssicherheit hochhielten.
Von verschiedener Seite herrscht Zuversicht, dass die breite Allianz den Schwung mitnehmen könne und auch in Zukunft über «die destruktive SVP-Verhinderungspolitik» gewinnen werde, wie es SP-Präsident Christian Levrat ausdrückte.
Nach dem Ja zur Ausschaffungs- und zur Masseneinwanderungsinitiative sei es dieses Mal gelungen, der Bevölkerung die drastischen Konsequenzen solcher Volksinitiativen aufzuzeigen und damit die Mehrheit zu überzeugen, sagte Flach. «Dies ist ein Signal, das es zu festigen gilt.»
Härtefallklausel bleibt Ausnahme
Nicht ausgeklammert werden darf aber die Tatsache, dass kriminelle Ausländerinnen und Ausländer in Zukunft trotz des Neins zur Durchsetzungsinitiative automatisch des Landes verwiesen werden. Denn jetzt wird die vom Parlament beschlossene Umsetzung der Ausschaffungsinitiative in Kraft gesetzt.
Diese SVP-Initiative haben Volk und Stände 2010 angenommen. Das Gesetz sieht ebenfalls automatische Landesverweisungen vor. Nur ausnahmsweise kann darauf verzichtet werden, um einen schweren persönlichen Härtefall zu vermeiden.
Der Präsident der Schweizerischen Staatsanwälte-Konferenz, Rolf Grädel, versicherte, dass Gerichte sich nur dann auf die Härtefallklausel berufen werden, wenn die automatische Ausschaffung zu einem unzumutbaren Härtefall für die betroffene Person führen würde.
Tessin sagt deutlich Ja
1'967'000 Stimmberechtigte entschieden sich am Sonntag für eine Härtefallklausel und sagten Nein zur Durchsetzungsinitiative, 1'375'000 stimmten dieser zu. Die Stimmbeteiligung lag bei hohen 63,4 Prozent. Auch für das Ständemehr reichte es nicht. Nur sechs Kantone stimmten der Initiative zu: Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Appenzell Innerrhoden und das Tessin, das mit über 59 Prozent am deutlichsten Ja sagte.
Am klarsten wurde die Vorlage im Kanton Basel-Stadt abgelehnt. Dort sprachen sich 70,2 Prozent dagegen aus. In der Waadt kamen 66,6 Prozent Stimmen gegen die Initiative zusammen, in Neuenburg und Zürich lag der Nein-Anteil bei 65 Prozent.
«Wir sind bequem geworden»
Damit bestätigte sich der Trend, der sich in den letzten Wochen abgezeichnet hatte: Nachdem die Initianten zunächst einen grossen Vorsprung hatten, verloren sie immer mehr an Boden. In der letzten Trendumfrage hatten die Gegner dann die Nase vorn. Der Vorsprung war aber nicht gross genug für eine verlässliche Prognose.
Sieger wie Verlierer der Abstimmung erklärten das deutliche Nein mit der starken Mobilisierung – wenn auch mit unterschiedlichen Wertungen. Der scheidende SVP-Präsident Toni Brunner sprach von «einem in diesem Ausmass noch nie dagewesenen, einseitig geführten Abstimmungskampf».
SVP-Übervater Christoph Blocher zeigte sich auf dem hauseigenen Fernsehsender Teleblocher auch selbstkritisch: «Die Mobilisierung bei der SVP war nicht mehr so gut. Wir sind auch bequem geworden.»
Erleichterte Justizministerin
Genau das Gegenteil erlebten die Initiativgegner. Nach der ersten Abstimmungsumfrage von gfs.bern von Ende Januar, die der SVP-Initiative gute Erfolgschancen attestiert hatte, habe sich «eine unglaubliche Dynamik» bei den Gegnern entwickelt, sagte FDP-Präsident Philipp Müller.
Parteien, Justiz, Wirtschaft, Medien und Kulturschaffende traten nahezu geschlossen gegen die Initiative an. Fast 300 amtierende und frühere Bundespolitiker richteten einen Appell an die Stimmbevölkerung. Wissenschaftler wagten sich aus dem Elfenbeinturm und mischten sich vernehmlich in die Politik ein. Kunstschaffende und Intellektuelle warnten eindringlich vor der Initiative.
Nicht zuletzt deshalb sprach Justizministerin Simonetta Sommaruga am Ende des Abstimmungssonntags von «einem Zeichen von Reife, von demokratischer Mündigkeit». Das Nein sei ein Bekenntnis zu den Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz – insbesondere zu den Secondos.