«Es kann doch nicht sein, dass ich allein recht habe»

Aktualisiert

Blocher 20 Jahre danach«Es kann doch nicht sein, dass ich allein recht habe»

Nach dem 6. Dezember 1992 war alles anders: Im Alleingang versenkte Christoph Blocher den EWR. Der SVP-Stratege über einsame Nächte, FDP-Überläufer und seine Nachfolger.

L. Egli und L. Mäder
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L. Egli und L. Mäder

Der Bundesrat hat ein halbes Jahr vor der Abstimmung über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ein EU-Beitrittsgesuch gestellt. Hätte das Volk ohne Gesuch dem EWR zugestimmt?

Der Vertrag über den EWR war mit oder ohne Beitrittsgesuch nur als erster Schritt in die EU gedacht. Der Bundesrat schrieb damals in seiner Botschaft, der EWR sei «nur eine Etappe». Mit diesem Vertrag hätte die Schweiz sich verpflichtet, in vielen Gebieten das von der EU in aller Zukunft zu setzende Recht zu übernehmen, ohne dass die Schweizer Stimmbürger dies hätten ändern können. Also ein klassischer Kolonialvertrag. Da blieb dem Bundesrat nur noch die Flucht in die EU.

Der Entscheid des Bundesrats, ein EU-Beitrittsgesuch zu stellen, kam überraschend und war taktisch ungeschickt.

Das war nur die logische Konsequenz. Der Skandal ist, dass es nach dem negativen Volksentscheid von 1992 nicht zurückgezogen wurde.

Aber in der Bevölkerung gab es keine Basis für diesen Schritt.

Anfänglich sagte der Bundesrat klar: Ein EWR gibt es nur mit einem klaren Vetorecht der Schweiz. Für einen solchen Vertrag hat sich selbst die AUNS, die ich damals noch präsidierte, ausgesprochen. Dieses Vetorecht wurde in der Schlussverhandlung aber fallengelassen. Alle EWR-Staaten erklärten deshalb damals übereinstimmend: Dann gehen wir später in die EU.

Das fehlende Vetorecht machte den Vertrag für Sie unannehmbar?

Ja. Weil damit die Souveränität der Schweiz massiv getroffen wird. Darum blieb nur Ablehnung oder EWR mit nachträglichem EU-Beitritt. Darum hat er das Gesuch eingereicht.

Sie haben damals mit FDP-Nationalrat und Auns-Geschäftsführer Otto Fischer den Entscheid des Bundesrats gefeiert.

Sicher haben wir nicht einen falschen Weg gefeiert! Doch die Transparenz machte hoffnungsvoller. Darum tranken Otto Fischer und ich eine Flasche französischen Wein. Wir sagten: «Jetzt wollen wir der EU schnell den Wein wegsaufen.»

Sie wussten schon damals, dass Ihnen das Beitrittsgesuch zugute kommt?

Es gab damals viele Schlaumeier, die sagten, sie seien für den EWR, aber sie wollten gar nicht in die EU. Vor allem unter den Bürgerlichen. Mit dem Beitrittsgesuch mussten sie Farbe bekennen. Das hat die Sache für uns etwas erleichtert. FDP und CVP haben sogar nach der negativen Volksabstimmung ausdrücklich den EU-Beitritt als Ziel beschlossen.

Was wäre heute anders, wenn die Schweiz damals Ja zum EWR gesagt hätte?

Dann wären wir heute in der EU.

Tatsächlich?

Klar. Alle hätten realisiert, dass die Schweiz in vielen Teilen nichts mehr zu sagen gehabt hätte. Nicht nur die Stimmbürger auch die Politiker wären ausgehebelt worden. Und man hätte zwischen einem Kolonialvertrag EWR und einem EU-Beitritt entscheiden müssen. Man hätte wohl die Eingliederung dem Kolonialvertrag vorgezogen. Aber zum Glück hat das Volk Nein zum EWR- und damit auch zum EU-Beitritt gesagt. Das ist der Hauptgrund, dass es der Schweiz auch 20 Jahre danach besser geht als der EU. Wären wir heute in der EU, sässen auch wir in der Tinte.

Mit den bilateralen Verträgen hat die Schweiz viele Teile des EWR übernommen.

Die EU-Befürworter sagten damals, es werde in Zukunft keine bilateralen Verträge mehr geben. Auch dies war eine krasse Fehlinformation.

Einige sagen, der Schweiz wäre es in den 1990er-Jahren mit dem EWR wirtschaftlich besser gegangen.

Wer sagt das? Der frühere SP-Präsident Peter Bodenmann, der noch heute in die EU will.

Alt Bundesrat Arnold Koller sagt es auch.

Auch er war ein EWR-Befürworter. Aber ich nehme diese beim Wort. 1992 beschworen sie: «Wenn das Volk den EWR ablehnt, geht die Schweiz kaputt. Sie kann nicht überleben.» Die Gegenwart beweist das Gegenteil. Dass die EU-Politiker ein solches Finanzschlamassel anrichten werden, wussten wir damals allerdings auch nicht.

Ist das eine Befriedigung für Sie?

Ich habe keine Freude, wenn Staaten auf einem Irrweg wandeln. Auch damals musste ich meine Partei von der Richtigkeit der Eigenständigkeit zuerst überzeugen. Erst nach dem Abstimmungserfolg war die Partei als Verfechter in der Unabhängigkeit geeinigt. Dieses konsequente Einstehen für die schweizerische Unabhängigkeit brachte neue Wähler und neue SVP-Sektionen. Sie haben sich inhaltlich der Zürcher Partei angeschlossen.

Hatten Sie nie Zweifel am EWR-Nein?

Am Anfang waren Otto Fischer und ich völlig isoliert. So dass ich manchmal zweifelte, ob wir richtig liegen. Oft hatte ich Angstträume und erwachte schweissgebadet in der Nacht. Ich sagte mir: «Es kann doch nicht sein, dass du als einziger Recht hast.» Die ganze Classe politique, alles was Rang und Namen hatte, war gegen uns. Ging die Sonne am Morgen auf, wusste ich, dass all die anderen falsch liegen. Das Nein am Abstimmungssonntag war auch für mich eine Überraschung. Vor allem nach unserer handgestrickten Kampagne. Otto Fischer und ich haben jeweils am Sonntagnachmittag geschaut, wie viel Geld wir noch in der Kasse haben, und dann selbst Inserate «gebrünzlet».

Die haben Sie aus dem eigenen Sack bezahlt?

Nicht alles. Ich habe eine Defizitgarantie von drei Millionen gegeben, aber diese nicht voll gebraucht. So viel ist mir die Schweiz wert.

Mit dem EWR-Nein der SVP begann das Ende des geschlossenen bürgerlichen Blocks. Sehnen Sie sich manchmal diese Zeiten zurück?

Ja, stark sogar.

Obwohl die SVP gross wurde auf Kosten des bürgerlichen Blocks?

Das wollte ich gar nie. Ich möchte, dass alle Parteien für die eigenständige Schweiz einstehen. Viele Freisinnige und CVPler sind zur SVP übergetreten, weil diese Parteien dies nicht taten.

Dennoch kann sich die SVP oft nicht durchsetzen.

Eben darum sollten FDP und CVP wieder für die Eigenständigkeit der Schweiz sein. Kürzlich sagte ich einem freisinnigen Unternehmer, der zur SVP übertreten will: «Besser wäre es, wenn Sie bei den Freisinnigen schauen, dass ihre Partei auf die richtige Linie kommen würde. Das wäre nützlicher, als wenn die SVP immer noch stärker wird.»

Sie wollen nicht, dass FDPler und CVPler übertreten?

Natürlich nehmen wir sie gerne auf. Wenigstens sind FDP und CVP vor den letzten Wahlen vom Beitrittsziel abgerückt. Sie haben gemerkt: Heute wollen 80 Prozent der Bevölkerung nicht mehr in die EU.

Ihr Verdienst?

Auch das Verdienst der EU-Politiker, die durch ihre Taten die Fehlkonstruktion offen beweisen. Aber der Bundesrat und die Bundesverwaltung streben immer noch voll den Beitritt an, auch wenn sie dies bestreiten. Sie haben Interessen, vor allem die Verwaltung.

Welche Interessen?

In der EU können die Bürokraten schalten und walten. In der Schweiz kommen ihnen die Bürger laufend in die Quere. Das ist für die Beamten mühsam.

In Bern und Brüssel heisst es heute wieder, der bilaterale Weg komme an ein Ende...

Was wieder nicht stimmt. Aber wir brauchen auch gar nichts Überlebenswichtiges! Es heisst immer: Der Binnenmarkt. Was fehlt uns denn da Wichtiges?

Ein Energieabkommen?

Natürlich ist es zweckmässig, wenn man einen Vertrag machen kann, um Strom hin- und herschicken zu können. Nice to have. Aber nicht entscheidend. Das tun wir ja heute schon. Daran ist die EU sehr interessiert, weil sie sehr viel überschüssigen Strom zu falschen Zeiten hat.

Ein Stromabkommen ist nur im Interesse der EU?

Es ist auch in unserem Interesse. Da bin auch ich nicht dagegen. Aber wir können doch nicht unsere Unabhängigkeit opfern wegen einer solchen Erleichterung. Eine institutionelle Bindung und fremde Richter darf es nicht geben.

Sollte die Schweiz die EU auflaufen lassen?

Der Bundesrat muss der EU erklären, dass das Schweizer Volk – der Souverän – die Unabhängigkeit nicht preisgeben will. Darum geht es, und wir wollen keine fremden Richter haben. Über Strom sind wir bereit, zu verhandeln. Basta!

Glauben Sie, dass sich die EU dem beugen wird?

Nicht beugen. Aber sie kennt dann die Machtbeschränkung des Bundesrates. Ist sie und die Schweiz interessiert, werden sie sich innerhalb dieses Bereiches finden. Sie müssen einmal anschauen, was für Seich wir übernehmen müssten, bei einer institutionellen Bindung. Diese zerstört die Stärken der schweizerischen Institutionen und führt die Schweiz in den Niedergang. Das ist zu verhindern! Aber Bern will sich immer anpassen.

Wir übernehmen heute schon EU-Recht.

Ja, leider viel zu viel und zum Schaden der Schweiz. Aber zum Glück sind wir nicht in der EU. Schauen Sie sich Schulden, Steuern und Arbeitslosigkeit an: In der Schweiz kann die Mehrwertsteuer um keinen Zehntel Rappen angehoben werden, ohne dass Volk und Stände zustimmen. In der EU ist vorgeschrieben: mindestens 15 Prozent. Wir haben 8 Prozent. Da kann der Bundesrat lange sagen: «In der EU könnten wir mitreden.» Die Bürger hätten nichts zu sagen. EU-Recht bricht Schweizer Recht.

Was ist mit der Personenfreizügigkeit mit Kroatien? Die EU wird drohen...

Bei jeder Drohung muss man sagen: Ich gebe nicht nach. Ganz einfach. Der Druck aus dem Ausland ist eine Konstante in der Schweizer Geschichte.

Gar nicht verhandeln?

Doch, doch. Verhandeln schon. Aber mit klaren Positionen und nicht nachgeben. Da muss man Nerven haben. Der grösste liberale Ökonom, Nobelpreisträger Milton Friedman, sagte: Zwei Sachen dürfen in einem Staat nie der völligen Freiheit übergeben werden – Personenfreizügigkeit und Kapitalverkehr. Das muss reguliert werden. Ausser man schafft den Sozialstaat ab. Aber das will ja niemand.

Werden Sie die Erweiterung der Personenfreizügigkeit mit dem Referendum bekämpfen?

Ich nehme es an, aber ich kann nicht für die Partei sprechen.

Sie sind für das Referendum?

So wie es heute aussieht, ja.

Lehnt das Volk die Personenfreizügigkeit mit Kroatien ab, droht die EU, alle Verträge der Bilateralen I zu kündigen.

Das ewig gleiche Spiel. Da möchte ich sehen, wie die EU das Verkehrsabkommen kündigt. Die Nord-Süd-Verbindung mit der Neat ist enorm im Interesse der EU. Was würden die Holländer, Deutschen, Italiener sagen, wenn sie nicht mehr durch den Gotthard fahren könnten?

Der Gotthard als Pfand?

Ja. Auch die Personenfreizügigkeit. Die EU ist sehr daran interessiert, dass möglichst viele ihrer Arbeitslosen in der Schweiz arbeiten können. Bald arbeitet hier eine Millionen Leute aus der EU, die in den EU-Staaten arbeitslos wären.

Schadet die Personenfreizügigkeit der Schweiz?

So wie sie heute ausgestaltet ist, langfristig eindeutig. Die Rechnung kommt in wirtschaftlich schlechten Zeiten. Die Ausländer verdrängen dann die Schweizer oder beziehen Sozialleistungen. Sie haben das Recht dazu. Mit der Personenfreizügigkeit kommen auch flankierende Massnahmen, die dem freien Arbeitsmarkt – eine grosse Stärke der Schweiz – schaden. Leider bietet auch hier die Economiesuisse stets Unterstützung und geht mit den Sozialisten Hand in Hand.

Die Economiesuisse arbeitet gegen den Standort Schweiz?

Wo es um langfristige schweizerische Rahmenbedingungen geht, leider oft. Sie hat schon bei der EWR/EU-Abstimmung die Entwicklung Europas falsch eingeschätzt. Viele günstige Arbeitskräfte aus dem Ausland sind ein berechtigter Wunsch der Wirtschaft. Aber wenn die Unternehmer sie nicht mehr brauchen, soll der Staat schauen. Bei einer Rezession gehen die nicht mehr heim. Dann werden Schweizer arbeitslos. Das gibt soziale Spannungen, und dies bezahlt und schwächt die Wirtschaft. Darum besteht Handlungsbedarf.

Das sind harte Worte an die Adresse des Wirtschaftsdachverbands.

Die Economiesuisse war damals für den EWR. Sie wird den Bundesrat wieder beim Nachgeben unterstützen. Walter Kielholz von der Credit Suisse setzt sich im Hintergrund stark gegen die schweizerische Unabhängigkeit ein. Auch für ihn ist die direkte Demokratie lästig. Solche Leute haben Zugang zum internationalen Filz in Brüssel.

Wer kann der Economiesuisse und dem Bundesrat die Stirn bieten? Sie?

Wenn es um die Unabhängigkeit geht und ich gebraucht werde, schon. Erfreulich ist, dass in der Basis heute die Stimmung viel besser ist, als 1992.

Gibt es jemand, der so viel Energie und Kraft hat wie Sie?

Sicher. Ich bin ja nicht mehr der Jüngste. Ich bin heute mehr der Elderly Statesman, der die Weisheit der Erfahrung weitergibt.

Haben Sie keinen Nachfolger?

Nachfolger gibt es nur bei Königen und Kaisern. In der Demokratie sorgt man nicht für seine eigene Nachfolge.

Ihre Tochter Magdalena?

Sie wäre eine gute Politikerin. Aber sie hat mit der Ems Chemie ein grosses internationales Unternehmen zu führen und sie hat eine kinderreiche Familie. Sie hat sich entschieden, nicht in die Politik zu gehen.

Bereuen Sie es, noch einmal Nationalrat geworden zu sein?

Nein, es ist mühsam und oft langweilig, aber notwendig. Ich habe in der kurzen Zeit viel bewirken können. Ich weiss nicht, wie es gelungen wäre, einem mit Währungen und Aktien spekulierenden Notenbankpräsidenten das Handwerk zu legen, wenn ich nicht Nationalrat gewesen wäre. Stellen Sie sich vor, es wäre alles erst in zehn Jahren ausgekommen, das wäre für die Schweiz ein grosses Debakel geworden.

Wie geht es weiter mit der EU?

Die EU wird mit dieser Konstruktion und ihren Plänen nicht erfolgreich sein. Ob sie auseinanderfallen wird, ist schwer zu sagen. Sowohl die Tendenzen, noch mehr zu zentralisieren, als auch das Gegenteil ist erkennbar. Sie reguliert immer mehr und die zahlenden Staaten werden in die Minderheit versetzt. Die Schwachen werden das Zepter führen. Die Deutschen tragen die Hauptlast. Wegen ihrer geschichtlichen Vergangenheit getrauen sie sich nicht Nein zu sagen. Die Franzosen scheren die schwachen Staaten in dieser Krise um sich. Da hängen sich die anderen an: Griechenland, Italien, Spanien und Portugal. Es wird wirtschaftlich schlechter gehen und das bekommt auch die Schweiz zu spüren. Man kann nur hoffen, dass der EU die Zukunft gelingt. Hätte Griechenland immer noch die Drachme, wäre seine Währung abgewertet, und es müsste und könnte wieder konkurrenzfähig sein.

Wie entwickelt sich die SVP?

Hervorragend – wenn sie auf Kurs bleibt, und wenn die SVP-Politiker nur das Wohl der Schweiz im Visier haben, und nicht vor allem ihre Pöstli, Ämtli und das eigene Ansehen. Dass der Einsatz für die Schweiz wichtig ist, davon bin ich heute noch überzeugter als vor 20 Jahren. Die EU hat Anfang der Neunzigerjahre versprochen, 2000 keine Arbeitslosigkeit mehr zu haben. Noch heute liegt sie bei 10 %, und es gibt Staaten mit 50 % Jugendarbeitslosigkeit – das ist verrückt. Wir haben nicht die besseren Politiker, sondern die bessere Verfassung: Weltoffen und eigenständig. Wenn die SVP hartnäckig Kurs hält, wird sie viel Erfolg haben. Wenn alle anderen Parteien auch auf diese Linie einschwenken, würde sie nicht mehr allein den Wahlerfolg haben. Wenn alle für die Unabhängigkeit der Schweiz eintreten würden, dann bräuchte es keine starke SVP mehr. Das wäre mir viel lieber. Die SVP war für mich nie Selbstzweck, sondern immer nur das Gefäss, um für eine freie Schweiz, die heute bedroht ist, politisch Einfluss zu nehmen.

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