«Unser Lehrer sagt: Geht doch lieber auf Youtube»

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Lern-Tutorials«Unser Lehrer sagt: Geht doch lieber auf Youtube»

Physikformeln, Vektorgeometrie und Geschichtsaufgaben – die Lösung finden Schüler heutzutage in Tutorials. Youtube sei oft sogar der bessere Lehrer, sagen sie.

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Schüler, die während der Stunde dem Lehrer nicht folgen konnten, den Stoff nicht verstanden oder eine Lektion verpassten, hatten früher keine grosse Wahl: Entweder ein Mitschüler erbarmte sich und erklärte ihnen das Problem. Oder sie mussten sich einen Nachhilfelehrer suchen. Heute haben sie eine dritte Option und diese bietet ihnen eine schier unendliche Auswahl an Hilfestellungen: Youtube.

Sei es eine Blockade bei Mathe, ein untauglicher Geschichtslehrer oder eine unlösbare Biologieaufgabe: Eines der Abertausenden Videos auf Youtube hat bestimmt die Antwort. Viele Schüler greifen deswegen auf solche Tutorials zurück. 20-Minuten-Leser erzählen, wie und wann sie Youtube nutzen, welche Kanäle besonders toll sind und weshalb auch die Lehrer profitieren.

Was die Lehrer von den Videos halten, sagt Jürg Brühlmann, Leiter Pädagogik des Dachverbands Schweizer Lehrerinnen und Lehrer. Er kommentiert die Lieblingstutorials der Leser kurz.

Natalie (18), Kantonsschule: «Ich nutze Youtube-Tutorials vor allem bei Matheaufgaben und für den Englischunterricht. Ich gebe beispielsweise bei Google ‹present perfect› ein und klicke dann auf Videos. Die ersten paar Videos sind meist die besten. Viele schaue ich auf Englisch – es sind Videos aus den USA oder England. Das sind Muttersprachler und wissen, wovon sie reden. Ich habe auch schon Videos von jüngeren Leuten geschaut, die selbst nicht wirklich verstanden haben, worum es bei dem Thema ging. Da war ich dann nachher noch verwirrter als vorher.

Natalie hat mit diesem Youtube-Tutorial gelernt:

Jürg Brühlmann: «Didaktisch vorbildlich gemacht, visuell unterstützt, ruhige Erklärungen, sehr praktisch, um es sich nochmals erklären zu lassen.»

Meist finde ich aber sehr hilfreiche Videos. Mit der Zeit hat man auch Übung und erkennt ziemlich schnell, ob das Tutorial gut ist oder nicht. Oft verstehe ich den Stoff dadurch besser, als wenn es der Lehrer erklärt. Es ist wie eine Gratis-Privatstunde. Während der Lektion würde ich mich nicht trauen, dreimal nachzufragen, wenn ich den Stoff nicht kapiere. Damit würde ich nur die Klasse aufhalten und es wäre auch peinlich. Bei einem Tutorial kann ich aber so oft an die Stelle zurückscrollen, bei der es bei mir hapert, bis ich verstanden habe, was gemeint ist.

Unsere Lehrer haben nichts dagegen, wenn wir zur Ergänzung Youtube-Filme schauen. Unser Mathelehrer sagt uns sogar manchmal: ‹Wenn ich ihr das noch nicht verstanden habt, dann schaut euch dieses und dieses Video auf Youtube an.› Unser Informatiklehrer hat uns sogar den Kanal Brainfaqk angegeben, wo wir Videos schauen sollen. Er verzichtet deshalb manchmal auf eine Erklärung zu einem Thema während der Stunde und sagt einfach: ‹Lasst euch das auf Youtube erklären.›»

Diesen Youtube-Kanal empfiehlt der Informatiklehrer von Natalie:

Jürg Brühlmann: «Nicht empfehlenswert: Werbung, zu hektisch, für das Lernen nicht geeignet.»

Seraina (16), Sekundarschule: «Ich brauche Youtube vor allem für Prüfungsvorbereitungen. Besonders in Mathe helfen mir die Tutorials oft. Variablen-Rechnen habe ich zum Beispiel im Unterricht überhaupt nicht verstanden. Nachdem ich mir ein Youtube-Video angeschaut hatte, schnallte ich das Zeug. Wenn man die richtigen Tutorials findet, sind die wirklich gut. Einfach aufgebaut, aber sehr verständlich. Weil bei Youtube die meistgelikten Videos zuoberst auftauchen, muss man auch nie lange suchen.»

Seraina lernte unter anderem mit diesem Video:

Jürg Brühlmann: «Eher traditionell, ein Lehrer in Nahaufnahme an der Wandtafel, zu stressig für ein Tutorial»

Lara (17), Gymnasium: «Youtube hilft mir besonders beim Auswendiglernen von Mathe- oder Physik-Formeln. Es gibt viele Videos, die Eselsbrücken vermitteln, wie man sich die Formel besser merken kann. So wie das Lied zur Mitternachtsformel: Während der Prüfung summt dann die ganze Klasse den Song – das ist ziemlich lustig. Unsere Lehrer finden diese Tutorials eine sinnvolle Sache. Oftmals sagen sie auch: ‹Ich habe jetzt keine Zeit, jedem Einzelnen zu erklären, wie das funktioniert. Geht doch einfach auf Youtube.› Manchmal ist es mir aber lieber, wenn ich jemanden face to face habe, der mir den Stoff erklärt. Das ermöglicht mir, nachzufragen, wenn ich etwas nicht verstehe.»

Dieses Tutorial-Lied summte Laras Klasse während der Prüfung:

Jürg Brühlmann: «Ein Song, um besser Matheformeln zu lernen – warum nicht? Der zweite Rap-Teil ist aber bereits etwas stressig und geht mit der Zeit auf den Wecker.»

Leo (18), Berufsschule: «Ich nutze keine Youtube-Tutorials. Ich recherchiere lieber im Internet und lese mir die Lösung oder Erklärung dann selbst durch.»

Veronika (16), Kantonsschule: «Es gibt einen Kanal auf Youtube, der heisst ‹Mit offenen Karten›. Er ist von Arte und super, was Geschichtsfragen angeht. Ich nutze ihn meist, wenn es um Kriege geht. Dort wird alles sehr genau und verständlich erklärt. Sie haben auch animierte Kurzvideos und so. Die Seite, die uns unser Informatiklehrer angegeben hat, ist auch toll. Er orientiert sich sogar für seine Tests an dieser Seite. Manchmal trägt er uns auf, ein bestimmtes Video zu schauen, und macht danach eine Prüfung darüber. Mit der Zeit kennt man viele Kanäle oder Tutoren und braucht bei der Suche nach einem Thema nicht mehr lange.»

Veronika informiert sich mit diesem Kanal über Kriege:

Jürg Brühlmann: «Syrien: Es fehlt zu Beginn eine Erklärung zum Hintergrund des Referenten. Die Seriosität kann nur über den Sender Arte abgeleitet werden.»

Jan (20), Handelsmittelschule: «Für Geschichte sind Youtube-Vidoes sehr beliebt bei uns – vor allem für Prüfungsvorbereitungen. Da gibt es diesen Kanal ‹MrWissen2go›, der gibt Auskunft zu allen möglichen Themen. Kürzlich musste ich für mein Mathe-Diplom lernen Da bin ich auch auf Youtube gegangen, als ich nicht mehr weiterkam. Nach dem Tutorial hatte ich es kapiert. Während der Stunde frage ich dann auch nicht nach, wenn ich irgendwo nicht folgen kann – ich weiss ja, dass ich es nachher auf Youtube nachschauen kann. Ich finde es beim Lernen viel angenehmer, wenn ich jemandem zuhören kann, als wenn ich selbst alles lesen muss. Praktisch ist auch, dass ich weniger Bücher und Zettel brauche: Alle Aufzeichnungen sind eh in den guten Tutorials vorhanden.

Jan empfiehlt unter anderem dieses Geschichtsvideo:

Jürg Brühlmann: «Mr. Wissen wirkt jung und frisch, was ist sein fachlicher Hintergrund? Kommt manchmal etwas gar flapsig rüber, stellt zur Illustration Figuren auf das Pult; billige Produktion, sonst seriös. Die Personality-Show wirkt auf Dauer etwas ermüdend, halt klassischer Frontalunterricht.»

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