ZweitwohnungenFranz Weber siegt auf der ganzen Linie
Doppelter Erfolg für Franz Weber vor Bundesgericht: Die Vorschriften zur Beschränkung von Zweitwohnungen gelten bereits ab dem Datum der Abstimmung von März 2012. Und seine Organisation ist beschwerdeberechtigt.
Die Vorschriften zur Beschränkung von Zweitwohnungen gelten bereits für Bauvorhaben, die 2012 nach der Abstimmung vom 11. März bewilligt wurden. Laut Bundesgericht ist die neue Verfassungsbestimmung ausreichend klar, um unmittelbar angewendet werden zu können.
Am Nachmittag hat das Bundesgericht zusätzlich entschieden, dass die Organisation Helvetia Nostra in entsprechenden Baubewilligungsverfahren zu Zweitwohnungsbauten Beschwerde erheben darf. Helvetia Nostra darf also über die Einhaltung der Regeln zur Beschränkung von Zweitwohnungen wachen. Helvetia Nostra erhob gegen nahezu alle Baubewilligungen, die in den Kantonen in der Folge der Abstimmung erteilt wurden, Beschwerde. Die Gerichte im Wallis und in Graubünden stellten sich auf den Standpunkt, dass Helvetia Nostra gar nicht beschwerdeberechtigt sei.
«Das ist ein Sieg»
Nach dem Urteil des Bundesgerichts hat sich Franz Weber in einer ersten Reaktion erleichtert gezeigt. «Das ist ein Sieg, das ist etwas Wunderbares, sagte Weber den Journalisten vor dem Bundesgericht. Die Organisation Helvetia Nostra habe in ungefähr 3400 Fällen Beschwerde geführt. Das Recht habe gesiegt, nicht Helvetia Nostra. «Es freut mich für die gute Sache, nicht für mich persönlich, sagte Weber. Man müsse nun weiterkämpfen.
Das Schweizer Stimmvolk hatte die Zweitwohnungsinitiative von Franz Weber und seiner Organisation Helvetia Nostra am 11. März 2012 angenommen. Der neu in die Bundesverfassung eingefügte Artikel 75b legt fest, dass der Anteil von Zweitwohnungen einer Gemeinde höchstens 20 Prozent betragen darf.
Baubewilligung aufgehoben
Das Bundesgericht hat am Mittwochmorgen nun entschieden, dass die Vorschriften zur Beschränkung von Zweitwohnungen bereits ab dem Datum der Abstimmung anzuwenden sind. Im konkreten Fall hat das Bundesgericht eine im August 2012 erteilte Baubewilligung aus dem Kanton Graubünden aufgehoben.
Das Bündner Verwaltungsgericht hatte die Ansicht vertreten, dass die Limitierung von Zweitwohnungen erst bei Baubewilligungen gelte, die nach dem 1. Januar 2013 erteilt würden. Laut Bundesgericht enthält die neue Verfassungsbestimmung jedoch ausreichend präzise Vorgaben für eine unmittelbare Anwendung.
Klarer Begriff
Wohl folge der Verfassungsbestimmung zu einem späteren Zeitpunkt noch ein Ausführungsgesetz, in dem dann die Einzelheiten zu regeln seien. Der in der Verfassung verwendete Begriff «Zweitwohnung» sei jedoch für die Behörden genügend klar, um zu wissen, welche Bauvorhaben betroffen seien.
Der Rechtsbegriff der «Zweitwohnung» sei bereits in zahlreichen Vorschriften des Bundes, der Kantone und der Gemeinden verankert. Auch die vorläufige Ermittlung des aktuellen Bestandes ans Zweitwohnungen in den Gemeinden sei aufgrund entsprechender eidgenössischer Register möglich.
Sofortiger Baustopp angekündigt
Weiter betonten die Richter der I. Öffentlichrechtlichen Abteilung in ihrer Beratung, dass das Stimmvolk um die Auswirkungen einer Annahme der Initiative gewusst habe. Die Initiantin Helvetia Nostra habe in ihrer Argumentation betont, dass in diesem Fall keine weiteren Zweitwohnungen mehr gebaut werden könnten.
Auch der Bundesrat selber habe in der Abstimmungsbotschaft betont, dass die Annahme der Initiative einen sofortigen Baustopp bewirke. Im Ergebnis können Baubewilligungen deshalb laut Bundesgericht angefochten werden, wenn sie zwischen 11. März und Ende 2012 ohne Rücksicht auf die neue Vorschrift erteilt wurden.
Flut von Baugesuchen
Baubewilligungen, die nach Januar 2013 erteilt wurden, ohne dass dabei die neuen Regeln zum Zweitwohnungsbau beachtet wurden, sind gemäss Bundesverfassung sogar nichtig. Nach der Abstimmung vom März war vorab in den Kantonen Wallis, Graubünden und Waadt eine Flut an Baugesuchen für Zweitwohnungen zu verzeichnen. Beim Bundesgericht sind aktuell 253 Verfahren hängig.
(Öffentliche Beratung vom 22. Mai 2013 im Verfahren 1C_646/2012) (aeg/fum/sda)
Leuthard hat Entscheid zur Kenntnis genommen
Bundesrätin Doris Leuthard hat den ersten Entscheid des Bundesgerichts zum Zweitwohnungsbau zur Kenntnis genommen.
Vor einer abschliessenden Würdigung seien zusätzliche Informationen und Angaben zum Urteil abzuwarten.
Dies teilte das Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) Mittwochnachmittag mit. Bundesrätin Leuthard hatte sich immer auf den Standpunkt gestellt, dass der Verfassungsartikel am Tag der Annahme durch das Schweizer Volk, also am 11. März 2012, in Kraft tritt.
Unverständnis und Enttäuschung im Wallis und in Graubünden
Nach dem Urteil des Bundesgerichts über die Zweitwohnungen herrscht im Kanton Wallis Unverständnis und Enttäuschung.
Man tröstet sich aber damit, dass mit dem Urteil nicht alles geklärt wurde.
«Die Richter sind nicht unserer Argumentation gefolgt, die auch von einer Mehrheit der Rechtsprofessoren geteilt wird», sagte Staatsrat Jean-Michel Cina auf Anfrage. Er wolle nun aber zuerst die Begründung des Urteils und die Abwägungen der Richter abwarten.
Cina ist der Meinung, dass das Bundesgericht nicht alle Zweifel ausgeräumt und alle Punkte geklärt habe, die es für eine sichere Rechtssprechung brauche. Der Kanton Wallis beabsichtige, alles in die Wege zu leiten, damit bestehende Bauten nicht von der Initiative betroffen würden.
Ernüchterung auch im Bündnerland
Auch der Bündner Volkswirtschaftsdirektor Hansjörg Trachsel ist überrascht von den Lausanner Urteilen zur Zweitwohnungsinitiative. Im Kanton Graubünden sind rund 150 Baugesuche betroffen, die bis vor Bundesgericht angefochten wurden.
Überrascht sei er, weil nach der Annahme des Volksbegehrens im März letzten Jahres die Mehrheit der Rechtsprofessoren anderer Meinung gewesen sei als nun das Bundesgericht, sagte Regierungsrat Trachsel in einer ersten Reaktion.
Auch die Kantonsgerichte, die sich mit den Auswirkungen der Initiative beschäftigt hätten, seien anderer Meinung gewesen als die Lausanner Richter. Das gleiche gelte für den Bundesrat und dessen vorläufige Verordnung zur Umsetzung der Initiative.
Von einem Schlag gegen das Baugewerbe wollte Trachsel am Mittwoch nicht sprechen. Der eigentliche Schlag gegen das Baugewerbe sei die Annahme der Zweitwohnungsinitiative gewesen, sagte er.
Laut dem Juristen des Bündner Volkswirtschaftsdepartementes, Carlo Decurtins, sind im Kanton Graubünden rund 150 angefochtene Baugesuche von den Lausanner Urteilen betroffen.
50 Gesuche seien von Privaten angefochten worden, 100 von Franz Webers Beschwerdeorganisation Helvetia Nostra. Nicht angefochtene Bewilligungen sind in Graubünden nach 30 Tagen rechtsgültig und von den Urteilen nach Ansicht der Bündner nicht betroffen.(sda)