AsylpolitikAbgewiesener wird Online-Aktivist – und darf bleiben
Der äthiopische Asylbewerber A. G.* hätte die Schweiz verlassen müssen. Doch dann präsentiert er sich – offenbar auf Anraten seines Rechtsanwalts – als Polit-Aktivist und wurde vorläufig aufgenommen.
Erhält ein Asylbewerber vom Bundesgericht einen negativen Asylentscheid und zeigt sich das Heimatland kooperativ, verlässt der Abgewiesene im Normalfall die Schweiz. Doch das ist nicht immer der Fall. So etwa beim Äthiopier A. G.* Sein Asylgesuch war im August 2014 vom damaligen Bundesamt für Migration abgelehnt worden, G. hätte also ausreisen müssen. Während der Befragung gab er an, in der Heimat als regimekritischer Reporter gearbeitet zu haben. Da er jedoch wiederholt durch die Regierung bedroht worden sei und um sein Leben habe fürchten müssen, habe er seine Arbeit aufgegeben. Das Bundesverwaltungsgericht schmetterte seinen Rekurs im April 2015 trotzdem ab. «Diese Aussagen sind als unglaubhaft zu erachten», schrieb das Gericht in der Urteilsverkündung.
Doch dann legte A. dem Bundesverwaltungsgericht neue Beweise für seine exilpolitischen Tätigkeiten in der Schweiz vor. Nach dem negativen Asylentscheid veröffentlichte G. auf bekannten Webseiten der regimekritischen Oromo-Bewegung verschiedene Artikel, Videos und Fotos, in denen er sich als politischer Aktivist präsentierte. Laut eigenen Angaben war er schon in Äthiopien in der Oromo-Bewegung aktiv.
Nach Online-Auftritt vorläufig aufgenommen
Das Bundesverwaltungsgericht kam danach zum Schluss, dass A. «zum heutigen Zeitpunkt durch die äthiopischen Behörden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als Regimegegner aufgefasst wird, dem ein gesteigertes Interesse gilt.» Der Beschwerdeführer erfülle somit die Flüchtlingseigenschaft. Die Beschwerde sei folglich gutzuheissen und er als Flüchtling anzuerkennen. Das SEM sei anzuweisen, den Beschwerdeführer wegen Unzulässigkeit des Vollzugs der Wegweisung vorläufig aufzunehmen.
Wie G. zu 20 Minuten sagt, habe er den Tipp zum öffentlichen Politauftritt von seinem Rechtsanwalt und ehemaligen Heks-Mitarbeiter T. H.* bekommen. Dieser aber widerspricht: «Ich erteile niemandem Ratschläge für irgendwie geartete politische Tätigkeiten.» Der Äthiopier A. G. sei bereits in seinem Heimatland politisch aktiv und deswegen wiederholt inhaftiert gewesen. Im ersten Verfahren sei dies «in für mich nicht nachvollziehbarer Art und Weise» als unglaubhaft eingestuft worden. A. G. habe seine politische Tätigkeit in der Schweiz über Jahre fortgesetzt und diese habe schliesslich eine Intensität erreicht, «die auch in den Augen des Gerichts eine Verfolgungsgefahr begründete».
«Sie können nicht ins Heimatland zurückgeschickt werden»
Laut dem Staatssekretariat für Migration SEM erhalten Asylsuchende, die wegen ihres Verhaltens nach der Einreise – beispielsweise wegen exilpolitischer Aktivitäten – befürchten müssen, bei einer Rückkehr in den Heimatstaat verfolgt zu werden, in der Schweiz kein Asyl. «Sie können jedoch nicht in ihr Heimatland zurückgeschickt werden und erhalten deshalb eine vorläufige Aufnahme», sagt Sprecher Lukas Rieder. Ob tatsächlich eine Verfolgungsgefahr bestehe, werde vom SEM und dem Bundesverwaltungsgericht in jedem Einzelfall sehr sorgfältig geprüft. Dass asylsuchende Personen in begründeten Einzelfällen wegen sogenannter subjektiver Nachfluchtgründen vorläufig aufgenommen werden, entspreche ständiger Praxis und den geltenden gesetzlichen Bestimmungen.
*Namen der Redaktion bekannt