Tieferer NormalpreisÖV-Lobby will das Halbtax-Abo abschaffen
Die hohen Ticketpreise halten viele von Reisen mit dem ÖV ab. Könnte die Abschaffung des Halbtax-Abos die Lösung sein?
Das Halbtax ist das beliebteste Abo der Schweiz. 2,5 Millionen Menschen besitzen die Karte, mit der sie Billette des öffentlichen Verkehrs zum halben Preis beziehen können. Doch die Beliebtheit hat eine Kehrseite: Volle Billette sind verhältnismässig teuer. «Die Schwelle, den öffentlichen Verkehr zu benützen, ist für Kunden ohne Abo hoch», sagt Ueli Stückelberger, Direktor des Verbands öffentlicher Verkehr (VöV). Es gebe eine Problematik der hohen Einzeltarife.
Die Kundenorganisation Pro Bahn schlägt deshalb vor, das Halbtax-Abo abzuschaffen und gleichzeitig die Tarife zu halbieren. Einen solchen Schritt würde sie «sehr begrüssen», sagt Präsidentin Karin Blättler. «Der Aufwand für den Vertrieb, die Vermarktung und die Erneuerung des Halbtax und die unterschiedliche Tarifgestaltung würde entfallen», sagt Präsidentin Karin Blättler. «Der grosse eingesparte Administrationsaufwand könnte den Kunden weitergegeben werden.»
Ganze Branche müsste zustimmen
Es sei wichtig, dass eine solche gravierende flächendeckende Tarifsenkung durchdacht erfolgen würde. Auch GAs, Tageskarten und andere Abos müssten berücksichtigt werden. «Es ist uns ein Anliegen, das immense Tarifchaos mit den vielen verschiedenen Verbünden und Regelungen massiv zu vereinfachen. Die Abschaffung des Halbtax wäre ein Teil davon», sagt Blättler.
In einem Interview mit der NZZ hat auch Toni Häne, der neue Personenverkehrschef der SBB, gesagt, einen solchen Schritt «könnte man sich überlegen». Es müsste aber die ganze Branche zustimmen. Es ist die erste derartige Wortmeldung aus der Branche.
385 Millionen Franken pro Jahr
Eine Abschaffung des Halbtax würde bedeuten, dass dem öffentlichen Verkehr 385 Millionen Franken fehlen würden. So hoch waren letztes Jahr laut Zahlen der Branchenorganisation CH-direct die Halbtax-Erträge. Zum Vergleich: Insgesamt kaufen ÖV-Kunden jährlich für etwa 6 Milliarden Franken Einzelbillette, Abos und Tageskarten. Mehr als eine Milliarde Franken an Erträgen tragen die GA-Besitzer dazu bei.
Würde das Halbtax-Abo abgeschafft, müssten die wegbrechenden Erträge ersetzt werden. Würden alle Fahrausweise gleichmässig erhöht und der Volltarif abgeschafft, müssten die Preise steigen. Um wie viel genau, kann aufgrund der regional unterschiedlichen und verschachtelten Tarifstruktur nicht berechnet werden. Klar ist: Allein der Wegfall der Halbtax-Erträge würde die Preise um 6,5 Prozent steigen lassen, wenn das ganze Sortiment gleichmässig verteuert würde.
Ist das Halbtax zu beliebt?
In der Branche ist die Abschaffung des Halbtax zurzeit allerdings kein Thema. Beim Zürcher Verkehrsverbund (ZVV), in dem fast die Hälfte des Schweizer Regionalverkehrs stattfindet, ist der Halbtax-Verzicht kein Thema. Eine Abschaffung wäre eine «sehr komplexe Übung», sagt Sprecher Thomas Kellenberger. Das gesamte Tarifniveau müsste dann neu justiert werden. Das sei anspruchsvoll, weil die Finanzierung der ungedeckten Kosten regional sehr unterschiedlich sei.
Die Abschaffung des Halbtax-Abo dürfte auch am eigenen Erfolg scheitern. «Ich bin überzeugt, dass es viel zu beliebt ist», sagt Ueli Stückelberger vom VöV. «Man würde den Kunden etwas Positives wegnehmen», sagt er. «Das würde nicht verstanden.»
Nicht zuletzt ist der 50-Prozent-Nachlass auch eine psychologische Rabattmarke, bei der viele Kunden das Gefühl haben, viel zu sparen. Als die Deutsche Bahn Anfang der 90er-Jahre mit der SBB gleichzog und die Bahn-Card-50 einführte, orientierte sie sich bei der Rabatthöhe an einer Umfrage unter Kunden. Als sie den Rabatt später reduzierte, gab es einen Aufschrei und Protestaktionen – und Tausende wandten sich ab.