Bundesbeamte zeigen Whistleblower an

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AmtsgeheimnisBundesbeamte zeigen Whistleblower an

Die Finanzverwaltung des Bundes erhält von einem Whistleblower Hinweise auf gravierende Misstände. Doch die zeigt den Mann wegen Amtsgeheimnisverletzung an.

Th. Bigliel
von
Th. Bigliel
Verdächtigt einen Whistleblower das Amtsgeheimnis verletzt zu haben: EFV-Direktor Serge Gaillard.

Verdächtigt einen Whistleblower das Amtsgeheimnis verletzt zu haben: EFV-Direktor Serge Gaillard.

Auffällige Spesenrechnungen, illegal vergebene Aufträge, Mobbing-Vorwürfe: Bei der kantonalen AHV-Zahlstelle des Kantons Genf hängt der Haussegen bereits seit einiger Zeit schief. Aufgedeckt hatte die Missstände Behördenmitarbeiter Jean Sommeil*. Der Abteilungsleiter der Zentralen Ausgleichsstelle (ZAS) deponierte seine Kritik zuerst bei seinen Vorgesetzten. Als diese nicht reagierten, wandte sich Sommeil sich an die die Interne Kontrollstelle der Eidgenössischen Finanzkontrolle. Die schickte dem Whistleblower kurz darauf die Polizei ins Haus.

Als Sommeil kurz vor 8 Uhr seine Haustüre öffnet, wird der Abteiltungsleiter von mehreren Beamten der Bundeskriminalpolizei in Empfang genommen. Er stehe im Verdacht, das Amtsgeheimnis verletzt zu haben, eröffnet ihm einer der Uniformierten. Sommeil weist den Vorwurf zurück, muss jedoch zusehen, wie die Polizisten sein Haus, sein Auto und sein Büro durchsuchen. Gleichentags wird er in Lausanne der Bundesanwaltschaft vorgeführt. Pikant: Mit seiner Meldung an die Eidgenössischen Finanzkontrolle hat der Whistleblower nach dem Bundespersonalgesetz gehandelt.

«Täter muss zur Verantwortung gezogen werden»

Serge Gaillard sieht das anders. Der Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung zweifelt an der Aufrichtigkeit des couragierten Mitarbeiters. Eine unbekannte Täterschaft habe «laufend, systematisch und unbefugt interne Informationen an die Presse weitergeleitet», teilte Gaillard der Bundesanwaltschaft in einem Schreiben mit. Wie der «Tages-Anzeiger» heute berichtet, stützt sich Gaillard bei seinem Verdacht dass «Sommeil Täter oder Mittäter sein könnte» auf Aussagen von anderen Mitarbeitern. Diese hätten den Whistleblower «während längerer Zeit zahlreiche Dokumente ausdrucken sehen».

Beim «Tages-Anzeiger», wo man mehrfach über die Missstände von Sommeils Arbeitgeber berichtete, ist man über diese Aussage erstaunt. «Gaillard wollte mit der Anzeige wohl weitere Enthüllungen verhindern», schreibt die Zeitung in ihrer heutigen Ausgabe und stellt klar, dass man von Sommeil keine Ausdrucke erhalten habe. Und selbst die von Gaillard benannten Zeugen haben sich mittlerweile von ihren Aussagen wieder distanziert. «Gemäss meinem Kenntnisstand hat in der ZAS niemand Sommeil beim Ausdrucken gesehen. Auch ich nicht», gibt einer der beiden Mitarbeiter zu. Auch der Sicherheitschef gab zu Protokoll: «Ich kann nicht sagen, woher diese Information stammt.» Sie hätten zwar recherchiert, dass Sommeil an diesem Tag ungewöhnlich viele Dokumente ausdruckte. Aber damit bestünde «überhaupt keine Gewissheit», ob Sommeil Dokumente weitergegeben habe.

Gaillard stellt dem «Tagi» ein schlechtes Zeugnis aus

Auf die Anzeige angesprochen, sagte Gaillard heute: «Laut meinen Informationen sagen die Zeugen, dass zum fraglichen Zeitpunkt Dokumente vom Account der genannten Person ausgedruckt wurden. Es ist nun Sache der Untersuchungsbehörden, die Wahrheit der Aussagen zu überprüfen.» Sommeils Anwalt findet dies zynisch. Sein Klient habe nach Vorschrift gehandelt, als er die Eidgenössische Finanzkontrolle über die Missstände informierte, «wo man meinem Mandanten für die wertvollen Informationen auch dankte».

Gegenüber 20 Minuten stellte Gaillard heute Nachmittag klar, dass der im Tagesanzeiger erschienene Artikel fehlerhaft sei. «Die Anzeige richtet sich nicht wie dargestellt gegen eine einzelne Person, sondern gegen eine unbekannte Täterschaft» Da gegen Herrn Sommeil ein Verdachtsmoment bestand, habe man dies bei der Anzeige vorschriftsgemäss erwähnt. «Für den ehemaligen Abteilungsleiter gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung», so Gaillard.

Wenig Freude am Vorgehen Gaillards hat Prix-Courage-Preisträgerin Margrit Zopfi (siehe Box). «Es wundert mich überhaupt nicht, dass Whistleblower, die sich gegen Missstände in der Verwaltung wehren, abgeschossen werden», sagte Zopfi auf Anfrage von 20 Minuten.

*Name geändert.

Schlechter Schutz für Whistleblower

Whistleblower zahlen in der Schweiz oft einen hohen Preis für ihren Mut. In der Regel verlieren sie ihre Stelle und bekommen es mit der Justiz zu tun. So zum Beispiel im Fall der ehemaligen Controllerinnen Margrit Zopfi und Esther Wyler. Die damaligen Mitarbeiterinnen des Sozialdepartementes hatten den Medien Fallakten zugespielt und damit eine breite Debatte über Missbräuche beim Bezug von Sozialhilfe ausgelöst. Im Januar 2011 wurden die beiden Trägerinnen des «Prix Courage»-Publikumspreises vom Obergericht Zürich in zweiter Instanz wegen Amtsgeheimnisverletzung schuldig gesprochen. (sda/tbi)

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