Coop grillt, Sprachpuristen kochen

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Verluderung der Mundart?Coop grillt, Sprachpuristen kochen

In der Stadt Zürich werden die Abfallcontainer auf Hochdeutsch umgerüstet, beim Coop «grillt» man neuerdings. Verludert die schweizerdeutsche Sprache? Näi, sagt ein Sprachforscher.

Antonio Fumagalli
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Antonio Fumagalli

«Chame das ‹tsch tsch›?», fragt der Herr mittleren Alters, Typ Durchschnittsschweizer, im TV-Spot von Coop und zeigt auf einen Salatkopf. Nein, kann man nicht. Auch beim Sandwich und der Sashimi-Rolle wird er enttäuscht. Erst das saftige Stück Fleisch lässt sein Herz höher schlagen. «Das chame grille», sagt er zufrieden und legt sich das Plätzli auf den Teller. Doch während den einen das Wasser im Mund zusammenläuft, treibt es den anderen ob des Wortes «Grillen» die Zornesröte ins Gesicht. «Unter Grillen versteht man hierzulande Heuschrecken, ein Schweizer nennt die Tätigkeit ‹grillieren›. Diese Verluderung der schweizerdeutschen Sprache nervt mich gewaltig», sagt Leser-Reporter M. B.* aus Zürich.

Er hat Coop seinen Unmut über die Werbekampagne schriftlich mitgeteilt. Und er ist nicht der Einzige: Der Grossverteiler bestätigt, dass sich rund ein Dutzend weitere Personen beschwert haben. Dort versteht man die Aufregung aber nur bedingt: «Der gewählte Slogan kann aufgrund der Vielfalt an Dialekten in der Deutschschweiz keinem einzelnen gerecht werden. Er wird aber überall verstanden», sagt Pressesprecher Urs Meier. Die Kampagne sei von einer Schweizer Agentur konzipiert worden, gleichwohl nehme man sich zu Herzen, sprachliche Befindlichkeiten bei zukünftigen Werbeaktionen stärker zu berücksichtigen.

Sauber oder suuber?

Nicht nur Coop will seine Botschaft mit deutschen Ausdrücken an den Mann bringen. Die Stadt Zürich ermahnt die Bevölkerung mit dem Container-Spruch «Nur Züri-Säcke – Für ein sauberes Zürich» an die Regeln des geordneten Abfalltrennens. So weit, so verständlich. Früher hiess der Slogan auf den baugleichen Abfall-Containern allerdings «Nur Züri-Säcke – Für e suubers Züri».

Kommt man damit der in den letzten Jahren stark angewachsenen deutschen Bevölkerung entgegen? Karin Leemann, Pressesprecherin von Entsorgung und Recycling Zürich, winkt ab: «Der Entscheid wurde schon vor sechs oder sieben Jahren gefällt und fügt sich in die Gesamtstrategie der Stadt ein. Weil aus Kostengründen aber nicht alle Container gleichzeitig umgerüstet werden, merkt man die Umstellung nur schleichend.» Zürich sei eben eine Stadt mit internationaler Ausstrahlung und man wolle vom grösstmöglichen Teil der Bevölkerung verstanden werden.

Hochdeutsch ist erzieherischer

Der inoffiziell oberste Hüter unserer Mundart, «Idiotikon»-Chefredaktor Hans-Peter Schifferle, kann das Vorgehen der Stadt nachvollziehen. «Hochdeutsch wird automatisch mit etwas Formellem in Verbindung gebracht. Ein erzieherischer Spruch ist so wirksamer», sagt der Sprachforscher.

Schifferle mag nicht in den Tenor einstimmen, dass Schweizerdeutsch immer mehr vom Hochdeutschen verdrängt werde. Vor dem Ersten Weltkrieg sei der linguistische Einfluss des «grossen Kantons» grösser gewesen. Für eine lebendige Sprache sei es normal, dass sie sich im Kontakt mit anderen Sprachen verändere. Aber er sagt auch: «Ein Wort wie ‹grillen› ist ein sogenannter Teutonismus, wir würden es derzeit noch nicht in unser Wörterbuch aufnehmen.»

Leser-Reporter M. B. hat sich für einen radikaleren Schritt entschieden. Er geht bis auf Weiteres nicht mehr in den Coop einkaufen.

Hier sehen Sie den Grill-Werbespot von Coop:

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