Zehn Jahre danachDas ist von der Expo.02 geblieben
Der Monolith und die Wolke leben nur in der Erinnerung fort. Doch die Expo.02 hat noch andere Spuren hinterlassen. Sie war ästhetisch stilbildend und sorgte für einen neuen Patriotismus.
Die Expo.02 war ein teurer Spass: 1,58 Milliarden Franken kostete die Landesausstellung. Doch zehn Jahre nach der Eröffnung stellt sich die Frage, ob sie mehr war als nur Spass, mehr als ein rauschendes Fest für einen Sommer und für mehr als vier Millionen Besucher. Was ist von der Expo.02 geblieben?
Künstlerisch einiges: Die architektonischen Ikonen waren über das Land hinaus stilbildend und haben sich ins kollektive Gedächtnis der Schweizer eingebrannt. Der rostige Monolith im Murtensee. Die sinnlich-verspielte Wolke in Yverdon. Die schwebenden Kieselsteindächer in Neuenburg. Die Türme von Biel. Physisch ist von ihnen jedoch nichts mehr übrig: Getreu dem Konzept der Vergänglichkeit wurden die vier Arteplages komplett abgebaut. Nur Spuren der Expo-Architektur haben sich erhalten. So der hölzerne Kugelbau Palais de l'Équilibre von der Neuenburger, der heute im Cern in Genf steht. Oder die Metall-Hüttchen des Kirchenprojekts «Un ange passe». Eines ist noch in Murten, die anderen haben in Bümpliz, Magglingen oder Heiden AR eine neue Heimat gefunden. In manchen Gärten stehen noch leuchtende Schilfhalme der Neuenburger Arteplage.
«Die Schweiz zusammenbringen»
Doch der Anspruch der Politik an die Expo.02 ging über ästhetische Aspekte hinaus. Der damalige SP-Bundesrat Moritz Leuenberger sagte in einem Interview zwei Monate vor der Eröffnung, die Expo werde die Schweiz zusammenbringen. Und zwar dadurch, dass alle hingehen und sich mit denselben Themen beschäftigen würden: «Die Ausstellung selbst wird Diskussionen und Emotionen auslösen. Das kann das Gefühl von Zusammengehörigkeit verstärken.»
Diesem hohen Anspruch sei die Expo.02 nicht gerecht geworden, findet Historiker Georg Kreis. «Dafür war sie zu individualistisch gestaltet», sagt der Basler Professor, der für das Historische Lexikon der Schweiz den Artikel über die Landesausstellungen verfasst hat. Der Vorwurf war schon während der Expo selber aufgetaucht: Beim Teller-Schmeissen, Migros-Wägeli-Fahren oder dem Heiraten für 24 Stunden im Pavillon «Oui» sei das persönliche Erlebnis im Vordergrund gestanden – nicht die Debatte darüber, was die Schweiz ist und wo sie hin soll. Die Expo habe ganz wesentliche Probleme der schweizerischen Gesellschaft und Politik entweder nur spielerisch oder gar nicht thematisiert, sagt auch die Historikerin Béatrice Ziegler von der Fachhochschule Nordwestschweiz. «Bei Fragen wie Immigration, Arbeit oder Klimawandel ist die Expo.02 oberflächlich geblieben.»
Diesen Vorwurf weist Franz Steinegger zurück. Der langjährige FDP-Präsident sprang 1999 als Krisenmanager für die Expo ein und bewahrte sie vor einem Scheitern. «Wir wollten gerade keine pädagogische Veranstaltung, sondern eine atmosphärische. Wir wollten zum Nachdenken anregen, ohne aufdringlich zu sein.» Das hätten die Traditionalisten von rechts und die Marxisten nicht verstanden. Für den Urner haben zudem viele Ausstellungen bis heute ihre Aktualität bewahrt. Etwa der Goldpavillon von Biel. Dort fielen jeden Tag ausrangierte Banknoten im «Wert» von Hunderttausenden Franken dem Reisswolf zum Opfer – die künstlerische Installation nahm die enorme Wertevernichtung der fünf Jahre später ausgebrochenen Finanzkrise voraus.
Der Patriotismus wurde salonfähig
Historikerin Ziegler hält der Expo.02 zugute, sie habe eine Entkrampfung des Verhältnisses der Schweizer zu ihrem Staat angestossen. Das sehen der Freisinnige Steinegger und SP-Mann Stöckli gleich: Der Patriotismus sei dem Rechtsaussen-Lager entrissen worden. «Die Rückeroberung der Heimat, die das Ziel vieler Kulturschaffender war, ist gelungen», bilanziert Steinegger. Auf den Arteplages wurden die roten Shirts mit Schweizerkreuz chic. Seither pilgern selbst Linke in den Nationalfarben zu Nati-Spielen und versuchen sich sogar im Singen der Nationalhymne.
Dass sich die Schweiz heute als selbstbewusste Nation präsentiert, hat für Steinegger auch damit zu tun, dass die Expo.02 überhaupt zustande kam. Das war keine Selbstverständlichkeit. Denn jahrelanges Hickhack um die Finanzen war der Eröffnung am 15. Mai 2002 vorangegangen, und die Landesausstellung hatte um zwölf Monate verschoben werden müssen. «Trotz dieser widrigen Umstände ein so grosses Projekt realisieren zu können, war enorm wichtig für das Land – gerade in der Folge des Katastrophenjahres 2001», betont Steinegger. Nach dem Swissair-Grounding, dem Massaker im Zuger Kantonsrat und dem Brandunglück im Gotthard-Strassentunnel konnte die Schweiz Seelenbalsam brauchen.
«Es ist ja dauernd etwas los»
Weniger wohlwollend urteilt SVP-Nationalrat Hans Fehr. Für den Zusammenhalt des Landes sei es zwar gut gewesen, die Grossveranstaltung in die Schnittstelle zwischen Romandie und Deutschschweiz zu vergeben. «Doch ideell ist wenig übrig geblieben – sicher weniger als von den Landesausstellungen 1939 und 1964.» Auch Historikerin Ziegler glaubt, dass die legendäre Landi 39 in Zürich eine grössere Wirkung entfaltet hat als die Expo.02. «Damals, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, war das Bedürfnis nach kollektiver Identität äusserst akut.» Die Landi und die EXPO 64 hätten ihr symbolisches Gehalt aber erst im Rückblick gewonnen. Sie hätten eher bereits vorhandene gesellschaftliche Tendenzen und ihre Wahrnehmungen gut abgebildet, als neue Trends gesetzt. Ähnliches gelte für die Expo.02: «Sie verstärkte das Denken in individualistischen Kategorien, stark verbunden mit einer Sicht auf Lebensgestaltung als Konsum.»
Zieglers Professorenkollege Kreis betont, die Expo.02 habe gar nicht mehr den Ausnahmecharakter einer Landi besitzen können: «In unserer stark medialisierten Zeit leben wir in einer permanenten Landesausstellung.» Von der Fussball-WM bis zum Eurovision Song Contest: Es sei dauernd etwas los. «Da gelingt es nicht mal mehr einem Gross-Event wie der Expo herauszuragen und langfristig Spuren zu hinterlassen.»
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Gut für Tourismus und für Biels Renaissance
Von der Expo.02 profitiert hat die reizvolle Gastgeber-Region zwischen Yverdon und Biel. Ihr hat die Landesausstellung einen gut fünfmonatigen Ausnahmezustand bescherte. «Das Dreiseenland wurde erst durch die Expo als Begriff und Feriendestination in den Köpfen der Schweizer verankert», sagt der Berner Ständerat Hans Stöckli. Als damaliger Bieler Stadtpräsident gehört der Sozialdemokrat zu den euphorischsten Expo-Fans. Kein Wunder auch dank der Landesausstellung schaffte die zuvor krisengeschüttelte Uhrenstadt die Wende. Die Innenstadt wurde aufpoliert und Biel hat mit dem früheren Expo-Gelände endlich wieder einen Zugang zu seinem See gefunden. hhs