Elite-Uni schützt Schweizer Rassisten

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Skandalbilder verweigertElite-Uni schützt Schweizer Rassisten

Der Neuenburger Louis Agassiz war der erste Superstar in Harvard – und ein unverbesserlicher Rassist. Eine kritische Würdigung in der Schweiz stösst der Elite-Uni sauer auf.

Kian Ramezani
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Kian Ramezani
Der weltberühmte Gletscher- und Tierforscher Louis Agassiz in einer Aufnahme um 1870. (Bild: Wikipedia)

Der weltberühmte Gletscher- und Tierforscher Louis Agassiz in einer Aufnahme um 1870. (Bild: Wikipedia)

Der Schweizer Louis Agassiz galt im 19. Jahrhundert als international anerkannte Kapazität in der Naturforschung und lehrte sogar an der US-Eliteuniversität Harvard. Er war aber auch ein Rassist, der Menschen verschiedener Hautfarbe wie Tierarten klassifizieren wollte. Eine neue Ausstellung im Heimatmuseum Grindelwald beleuchtet die dunkle Seite des 1873 verstorbenen berühmten Neuenburgers – allerdings ohne die krassesten Auswüchse seiner «Forschung» zeigen zu können: Harvard untersagt den Organisatoren, dessen berüchtigte Sammlung von Sklaven-Fotos auszustellen. Aus fadenscheinigen Gründen, wie die Kuratoren finden.

Angefangen hatte alles 1850, als Harvard-Professor Agassiz Aufnahmen (im damals neuen Daguerreotypie-Verfahren) von Sklaven auf Plantagen in South Carolina in Auftrag gab: Diese mussten sich nackt ausziehen und von verschiedenen Seiten Modell stehen. Mit den erniedrigenden Bildern wollte Agassiz «belegen», dass Menschen verschiedener Hautfarbe nicht den selben biologischen Ursprung haben. Dass er Schwarze für minderwertig hielt, ist aus verschiedenen historischen Quellen belegt. So behauptete er einmal, dass das Gehirn eines erwachsenen Schwarzen dem eines sieben Monate alten weissen Fötus entspricht.

«Aggressive Sprache»

Der St. Galler Historiker und Agassiz-Experte Hans Fässler stand in den vergangenen Monaten mit den Verantwortlichen der Harvard-Universität in regem E-Mail-Kontakt. Die Bilder seien zu «heikel» für eine öffentliche Ausstellung, teilten ihm die Amerikaner zunächst mit. Gegenüber dem «Boston Globe» verwiesen sie später auf eine interne Regelung, welche die Ausstellung von erniedrigenden Aufnahmen generell untersagt. So oder so: Seine Bitte um Reproduktion der Bilder wurde abgeschmettert.

Die Begründung überzeugte Fässler nicht. Er glaubt, der negative Bescheid habe wenig mit den Bildern an sich zu tun. Diese befinden sich nicht etwa unter Verschluss, sondern tauchen verschiedentlich in Bildbänden, wissenschaftlichen Publikationen und auch im Internet auf. «Harvard ist vermutlich die politisch-anklagende Dimension der Ausstellung sauer aufgestossen. Die anderen Projekte, welche die Bilder zeigen durften, bewegten sich hingegen in einem künstlerischen und rein wissenschaftlichen Kontext», erklärt Fässler gegenüber 20 Minuten Online. Der Verdacht drängt sich auf, dass Harvard seinen berühmten Professor vor allzu heftiger Kritik bewahren will.

Ein Indiz, dass er mit seiner Vermutung richtig liegen könnte, erhielt Fässler Ende April: In einem E-Mail wurden ihm sogar die Rechte an einer harmlosen Porträtaufnahme Agassizs verweigert – diesmal mit der aufschlussreichen Begründung, dass man die Sprache in der Ausstellungsbroschüre zwar als «interessant aber auch aggressiv» empfunden habe und Agassiz eine «sehr einflussreiche Persönlichkeit» in Harvard gewesen sei. Ein Sprecher zog diese Aussagen später zurück, die er einer «unerfahrenen Aushilfsmitarbeiterin» anlastete. Das Verwendungsrecht für das Agassiz-Porträt wurde nachträglich gewährt. Bei den brisanten Sklaven-Bilder blieb die Universität hingegen hart.

Gilt das Urheberrecht noch?

Christoph Irmscher, Professor an der Indiana University und Autor einer neuen Agassiz-Biografie äussert Verständnis für die Haltung seiner Kollegen in Harvard: «Diese Bilder hatten das Ziel, Menschen herabzuwürdigen», sagte er dem «Boston Globe». Zwar begrüsse er die Bemühungen, «Agassizs Motive blosszulegen». Gleichzeitig befürchtet er, dass die Übung letztlich das Gegenteil bewirke und die Bilder seinen «Rassismus weiterführten».

Die Organisatoren haben das beste aus der verfahrenden Situation gemacht: An der Ausstellung, die am Samstag eröffnet, werden aus Protest Silhouetten der besagten Bilder gezeigt, aus denen die «heiklen» Menschen ausgeschnitten sind. In der Broschüre ist zudem der E-Mail-Verkehr der vergangenen Monate abgebildet.

Fässler bezweifelt, dass Harvard nach so langer Zeit überhaupt noch ein Urheberrecht auf die Fotos geltend machen kann. Tatsächlich erlischt der Urheberrechtsschutz in den meisten westlichen Staaten 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers. Gut möglich, dass die umstrittenen Aufnahmen längst lizenzfrei von jedermann verwendet werden dürfen. Auf einen Rechtsstreit mit der Elite-Universität will sich der Historiker aber nicht einlassen.

Aufgrund der unklaren Urheberrechtslage verzichtet 20 Minuten Online auf eine Publikation der umstrittenen Aufnahmen. Sie können in der wissenschaftlichen Arbeit «Black Bodies, White Science» von Brian Wallis aus dem Jahr 1996 eingesehen werden.

«Gletscherforscher, Rassist: Louis Agassiz (1807 – 2012)» eröffnet am 30. Juni 2012 im Heimatmuseum Grindelwald.

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