Bezirksgericht BremgartenElitepolizisten «schossen mit Kanonen auf Spatzen»
Die Sondereinheit setzte einen betrunkenen und bewaffneten Mann mit zwei Schüssen in den Bauch ausser Gefecht. Jetzt stehen drei Polizisten vor Gericht.

Wird etwa bei der Festnahme gefährlicher Personen eingesetzt: Die Sondereinheit «Argus». (Symbolbild: Kantonspolizei Aargau)
Kein AnbieterZwei Aargauer Polizisten der Sondereinheit «Argus» und ein Polizeioffizier haben sich heute vor dem Bezirksgericht Bremgarten wegen des Vorwurfs der vorsätzlichen schweren Körperverletzung verantworten müssen. Der ausserordentliche Staatsanwalt fordert bedingte Geldstrafen, die Verteidigung will Freisprüche.
Die drei Männer waren im Mai 2009 an einem Einsatz der Sondereinheit beteiligt gewesen. Ein gewalttätiger serbischer Ehemann randalierte in seiner Wohnung im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses in Wohlen. Der damals 30-jährige war stark betrunken und mit einem Messer bewaffnet. Seine Frau war mit dem Kleinkind aus der Wohnung geflohen und alarmierte die Polizei.
Die Sondereinheit eingesetzt
Zunächst war die Regionalpolizei vor Ort. Der Ehemann öffnete die Wohnungstür mit einem Messer in der Hand und befolgte die Anweisungen nicht. Er verletzte sich mit dem Messer selbst.
Danach rückte die Kantonspolizei und letztlich die Sondereinheit «Argus» aus. Nach rund zwei Stunden stürmten sechs «Argus»-Polizisten die Wohnung: Der Serbe wurde mit zwei Bauchschüssen schwer verletzt. Er verstarb im April 2015. Das Ableben steht laut Anklageschrift jedoch in keinem Zusammenhang mit den Schussverletzungen.
Sieben Jahre nach den Ereignissen vom 25. Mai 2009 sassen am Donnerstag ein 60-jähriger Pikettoffizier, ein 53-jähriger Gruppenführer und ein 33-jähriger Polizist, der die Schüsse abgefeuert hatte, vor dem Bezirksgericht Bremgarten.
Dienstwaffe am Prozess dabei
Die Männer trugen ihre Dienstuniform. Nach der ersten Pause mussten sie auf Anordnung des Gerichtspräsidenten ihre Waffen in einer Tasche verstauen. Sie gaben an, sie seien im Dienst und müssten gemäss Polizeikommandanten ihre Waffe dann tragen. Die drei Männer machten sonst keine Aussagen. Dieses Recht haben alle Angeklagten.
Der Pikettoffizier ist wegen Amtsmissbrauchs und vorsätzlicher schwerer Körperverletzung angeklagt. Er soll eine bedingte Geldstrafe von 360 Tagessätzen und eine Busse von 8000 Franken kassieren. Der Gruppenführer soll wegen vorsätzlicher schwerer Körperverletzung zu einer bedingten Geldstrafe von 270 Tagessätzen und zu einer Busse von 6000 Franken verurteilt werden.
Die Anklage forderte für den Polizisten mit Schussabgabe wegen versuchter vorsätzlicher Tötung eine bedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen und eine Busse von 3000 Franken.
Einsatz der Sondereinheit als voreilig kritisiert
Der ausserordentliche Staatsanwalt kritisierte vor allem das Handeln des Pikettoffiziers heftig, der den Einsatz der Sondereinheit voreilig angeordnet habe. Alternativen wie Verhandlungen seien nicht ausreichend geprüft worden. Der Zugriff sei rechtswidrig gewesen. Der Staatsanwalt sprach von einem «Schuss mit Kanonen auf Spatzen».
Das liess der Verteidiger nicht gelten und forderte einen Freispruch. Es habe eine sorgfältige Evaluation gegeben. Das Ziel sei gewesen, Anwesende vor dem tobenden und wütenden Mann zu schützen – mitunter den Mann vor sich selbst. Der Serbe sei in einem extrem aggressiven Zustand gewesen. Dieser hätte es in der Hand gehabt, aufzugeben und sich der Polizei zu stellen.
Verteidigung spricht von Notwehr
Dem Gruppenführer wurde vorgeworfen, er habe den Einsatz mangelhaft geplant und schlecht koordiniert. Der schiessende Polizist sei letztlich «ein Opfer der Entscheide seiner Vorgesetzten» gewesen. Der Taser sei zu spät eingesetzt worden.
Die Verteidiger dieser beider Männer wiesen die Anklagen zurück und forderten ebenfalls Freisprüche. Der Polizist habe in Notwehr gehandelt, da der Serbe den Mann aus der Nähe mit einem Küchenmesser bedroht habe.
Die Einsatzplanung und Befehlsausgabe habe den damals geltenden Reglementen entsprochen, hiess es weiter. Man würde unter den gleichen Bedingungen wieder so handeln.
Langer Weg bis zur Anklage
Dass es bis zur Anklage und bis zum Prozess so lange dauerte, hat verschiedene Gründe. Die aargauischen Behörden taten sich schwer mit der Kritik am Polizeieinsatz. Dann wurde die Organisation der Strafverfolgungsbehörden reformiert. Detailfragen während der Strafuntersuchung wurden vor Gericht angefochten.
Im März 2013 setzte der Regierungsrat im zweiten Anlauf einen ausserordentlichen Staatsanwalt zur Untersuchung ein. Dieser verstarb jedoch – und ein neuer Ankläger musste gefunden werden.
Das Bezirksgericht Bremgarten will die Urteile am Freitag eröffnen. (mch/sda)