Minderjährige EhefrauenFlüchtlinge reisen mit Teenager-Bräuten ein
Asylsuchende, die mit minderjährigen Gattinnen in die Schweiz kommen, stellen die Behörden vor ein Dilemma. Nicht in jedem Fall ist die Ehe ungültig.

In Afrika und im Nahen Osten sind Kinderbräute in ländlichen Gebieten trotz gesetzlichem Verbot weit verbreitet.
Keystone/ali aliMitte Dezember hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die Schweiz die Ehe zwischen einem 18-jährigen Afghanen und seiner 14-jährigen Ehefrau nicht anerkennen muss. Flüchtlinge, die zusammen mit ihren minderjährigen Gattinnen Asyl beantragen, beschäftigen die Schweizer Behörden immer wieder. Wie viele Fälle es im letzten Jahr waren, ist statistisch nicht erfasst. Das Staatssekretariat für Migration bestätigt auf Anfrage jedoch, mit dem Thema konfrontiert zu sein.
In Holland hat der Fall einer sogenannten Kinderbraut unlängst hohe Wellen geschlagen: Im Herbst verschwand die 14-jährige Syrerin Fatema Alkasem kurz vor der Geburt ihres Babys spurlos – zusammen mit ihrem 24-jährigen Ehemann. Aufgeschreckt von dem Fall paukte die holländische Politik kurz vor Weihnachten Eilverfahren ein Gesetz durch, wonach Ehen von minderjährigen Migranten nicht mehr anerkannt werden.
Anerkennung der Ehe möglich
In der Schweiz entscheiden die Zivilstandesämter, Gerichte und die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) von Fall zu Fall, wie mit solchen Paaren umgegangen wird. Grundsätzlich müssen Ehen, die im Ausland legal geschlossen wurden, in der Schweiz anerkannt werden. Seit einer Gesetzesverschärfung im Jahr 2012 kann eine Ehe jedoch auch hierzulande für ungültig erklärt werden, wenn einer der Partner minderjährig ist. Dies allerdings nur, wenn die Weiterführung der Ehe nicht «den überwiegenden Interessen» der minderjährigen Person entspricht. Das Asylverfahren der Betroffenen wird auf Eis gelegt, bis ein rechtskräftiges Urteil vorliegt.
Ob es zumutbar ist, dass eine Minderjährige zusammen mit ihrem erwachsenen Ehepartner Wohnung und Bett teilt, entscheidet die Kesb. Laut Patrick Fassbind, Präsident der Kesb Bern, sind solche Fälle «äusserst komplex». «Es gilt genau abzuklären, wie die Interessen der Betroffenen am besten gewahrt werden können.» Eine 17-jährige Frau aus einer anderen Kultur sei sich unter Umständen gar nicht bewusst, dass ihre Ehe der Schweizer Rechtsauffassung widerspricht. «In einem solchen Fall ist deren Information und Vernetzung zentral, allenfalls ist ein Monitoring zu installieren oder die junge Frau durch die Errichtung einer Beistandschaft zu unterstützen.»
Klarer sei der Fall, wenn es sich um eine Zwangsehe handle oder die Ehefrau noch sehr jung sei. «Geschlechtsverkehr mit unter 16-Jährigen steht in der Schweiz unter Strafe», so Fassbind. Deshalb sei ein Zusammenleben einer 14-Jährigen mit ihrem 30-jährigen Ehemann nicht zu akzeptieren. Fassbind geht allerdings davon aus, dass viele Fälle ohnehin unentdeckt bleiben. «Die Schlepper sind schlau, sie raten den Paaren dazu, beim Asylantrag das Alter der Frau nach oben zu korrigieren.»
Trennung «traumatischer»
Stella Jegher von Amnesty International betont, nicht jede Minderjährigen-Ehe sei eine Zwangsehe. Sie fordert, der Schutz der betroffenen Frauen müsse auf jeden Fall «Vorrang haben vor den Interessen der Strafverfolgung oder dem Interesse, die Flüchtlingszahlen einzugrenzen». Wenn eine Ehe nicht anerkannt werde, könne dies dazu führen, dass den Frauen beispielsweise das Recht auf Familiennachzug verwehrt werde, das sie als Ehegattinnen hätten. «Unter Umständen ist es für die Frauen zudem weit traumatischer, von ihrem Ehemann getrennt zu werden, als bei ihm zu bleiben.»
In jedem Fall sei es wichtig, dass die Betroffenen umfassend über ihre Rechte in der Schweiz aufgeklärt würden und dass sie ihre eigene Sicht auf die Ehe darstellen könnten. Wenn nötig, müssten sie zudem medizinische und psychologische Betreuung erhalten. «Denn früh verheiratete Mädchen sind oft – wenn auch nicht immer – in der einen oder anderen Weise traumatisiert.» Dies auch, weil es oft zu Frühschwangerschaften komme. In diesem Fall könnten Beratungsstellen auf speziell ausgebildetes Fachpersonal zurückgreifen, so Jegher.
Kinderehen nehmen zu
Gesetzlich ist eine Heirat mit Minderjährigen in den meisten Ländern untersagt. Oft sind – etwa mit Einwilligung der Eltern – aber Ausnahmen möglich. Laut einem Bericht des Hilfswerks «Save the Children» ist der Anteil der frühverheirateten syrischen Mädchen seit Ausbruch des Bürgerkrieges stark gestiegen – von 13 auf über 30 Prozent.
2008 sorgte der Fall der damals 8-jährigen Nojoud Ali weltweit für Aufsehen, welche im Jemen gegen den Willen ihren Eltern die Scheidung von ihrem 22 Jahre älteren Ehemann durchsetzte.