Alleingeburt ohne HebammeFrauen bringen ihr Baby ohne fremde Hilfe zur Welt
Sie brauchen nur eine Wanne und Handtücher: Im Internet werben Schweizerinnen für die Alleingeburt. Gynäkologen warnen vor dem Trend.
Yvonne Leiser Hofmann hat alle drei Kinder in einem Gebärpool bei sich zuhause geboren. Bei der ersten Geburt war eine Hebamme anwesend, bei den nächsten Geburten entschied sich Leiser Hofmann für eine Alleingeburt. «Es war kraftvoll und urweiblich – die beste Entscheidung meines Lebens», erzählt die heute 39-Jährige. Die Zürcherin ist eine überzeugte Befürworterin der natürlichen Geburt. «Ein Baby in einem Spital zur Welt zu bringen, kam für mich nie Frage», sagt sie.
Sie entschied sich für die Alleingeburt, weil sie sich noch freier und selbstbestimmter fühlen wollte. «Mein Mann stand hinter meiner Entscheidung und seine liebevolle Präsenz gab mir die Sicherheit. Ich vertraute mir, meinen Körper und meinem Baby.»
«Eine Welle der Urkraft»
Leiser Hofmann ist mit dieser Überzeugung nicht allein. Eine von ihr gegründete Facebook-Gruppe zum Thema Hausgeburt und Alleingeburt umfasst knapp 1400 Mitglieder. Auch mehrere Onlineforen in der Schweiz widmen sich der Alleingeburt. In der Community im Netz tauschen sich Frauen aus, diskutieren und geben sich gegenseitig Tipps: Sie empfehlen, neben einem Plastikpool – der im Internet für 170 Franken zur Miete angeboten wird – auch Leintücher, Kühlelemente und Putzeimer bereitzuhalten.
Sie beschreiben ihre Erfahrung mit Alleingeburten als naturnahes, selbstbestimmtes und mystisches Ereignis. «Eine gewaltige, unglaubliche Welle erfasste mich, eine Urkraft durchströmte meinen Körper», beschreibt eine Mutter im Netz den Moment, als sie das Köpfchen ihres Babys ertastete. In diesem Moment kniete auch sie in einem Plastikpool. Dazu hörte sie englische Hypnosemusik. Die Zahl solcher Geburten steige «exponentiell» an, heisst es auf einer einschlägigen Website. Mehrere Frauen haben sich bereits in ein Register eingetragen, das die Alleingebärenden im deutschsprachigen Raum erfassen soll.
Verlässliche Zahlen dazu, wie viele Frauen ihr Kind in der Schweiz jährlich ohne Hilfe zur Welt bringen, gibt es nicht. Eine Erhebung des Schweizerischen Hebammenverbands zeigt, dass im Jahr 2013 rund 850 Hausgeburten stattgefunden haben. Alleingeburten werden nicht erfasst und dürften selten vorkommen, sagt Barbara Stocker, Präsidentin des Verbands. «Die wenigen Frauen, die sich für eine solche Geburt entscheiden, haben schlechte Erfahrungen mit dem Gesundheitswesen gemacht oder wollen aus Gründen der Intimität niemanden bei der Geburt dabei haben.»
«Komplikationen nicht vorhersehbar»
Pierre Villars, Gynäkologe in Zürich und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie, warnt vor dieser Form der Geburt: «Vom medizinischen Standpunkt gesehen ist eine Alleingeburt unverantwortlich. Denn Komplikationen sind bei einer Geburt nicht vorhersehbar.» Im Kanton Zürich müssten Spitäler in der Lage sein, innerhalb von 10 Minuten einen Kaiserschnitt einzuleiten, damit bei Komplikationen Schädigungen beim Kind möglichst verhindert werden. «Bei einer Alleingeburt ist es niemals möglich, in so kurzer Zeit zu reagieren.»
Yvonne Leiser Hofmann erwidert auf die Kritik, dass man das Risiko durch persönliche Information über den Geburtsvorgang minimieren könne. In der klinischen Geburtshilfe werde die Geburt der Mutter aus der Hand genommen. «Die Frau hört nicht auf sich und ihren Körper, sondern wird angeleitet zum Gebären. So können sich die meisten Frauen nicht richtig entspannen und es kommt zu mehr Komplikationen, die vermieden hätten werden können.»