Genf eröffnet erstes Schutz-Haus für Schwule

Aktualisiert

Gewalt im ElternhausGenf eröffnet erstes Schutz-Haus für Schwule

Ein Wohnhaus in Genf nimmt Schwule auf, die von der Familie verstossen wurden. Auch Deutschschweizer Organisationen orten Handlungsbedarf.

J. Büchi
von
J. Büchi
Nicht alle Eltern akzeptieren es, wenn ihr Söhne auf Männer stehen.

Nicht alle Eltern akzeptieren es, wenn ihr Söhne auf Männer stehen.

Eine muslimische Mutter erwischt ihren Sohn dabei, wie er einen anderen Mann küsst. Sie ist so entsetzt, dass sie den 19-Jährigen aus dem Haus wirft. Diese Geschichte erzählt Alexia Scappaticci von der Genfer Einrichtung «Le Refuge» in der Westschweizer Zeitung «24 heures». Dank ihr hat der junge Muslim jetzt wieder ein Dach über dem Kopf. Seit Anfang Juni bietet die Vereinigung Dialogai Betroffenen in solchen Situationen im «Le Refuge» Unterschlupf.

Derzeit leben zwei schwule Männer in der Einrichtung. Platz hätte es für maximal vier Personen. Das Angebot richtet sich an unter 25-Jährige, die wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert oder von den Eltern auf die Strasse gesetzt wurden. Fachleute und Freiwillige kümmern sich um die Jugendlichen, vermitteln zwischen ihnen und ihren Familien oder helfen ihnen, sich ihren Ängsten zu stellen. Die Betroffenen dürfen bis zu einem halben Jahr in der WG bleiben. Im aktuellen Fall stammen beide Bewohner aus muslimischen Familien. Aber auch in anderen religiösen Umfeldern kommt es laut den Verantwortlichen von Dialogai nach dem Coming-out immer wieder zu Problemen.

«Geschlagen und verfolgt»

Dies bestätigt auch Bastian Baumann, Geschäftsleiter des Schweizer Dachverbands der Schwulen Pink Cross. Junge Schwule aus konservativen Familien, egal ob christlich oder muslimisch, seien nach ihrem Coming-out oft mit bedrohlichen Situationen konfrontiert. «Sie dürfen nicht mehr nach Hause, werden geschlagen oder gar verfolgt.» Auch im schulischen oder beruflichen Umfeld drohe ihnen teilweise Mobbing und Gewalt. «Fälschlicherweise glauben viele Leute, dass dieses Problem in der toleranten Schweiz nicht besteht.» Dass dem nicht so sei, zeige jedoch unter anderem der Umstand, dass die Selbstmordrate bei jungen Schwulen in der Schweiz so hoch sei wie sonst fast nirgends in Europa.

In der Deutschschweiz können sich betroffene Jugendliche bei der Plattform «Du bist Du», einem Angebot der Zürcher Aids-Hilfe, beraten lassen. Gewalt und Ausgrenzung im Elternhaus sei immer wieder ein Thema, sagt Geschäftsführer Franco Rogantini. «Jugendliche aus Osteuropa und dem Balkan geraten nach dem Coming-out öfter in eine Notlage, weil Homosexualität in ihrer Kultur nach wie vor ein grosses Tabu ist.» In solchen Fällen versuchten die Berater, gemeinsam mit den Jugendlichen eine Lösung zu finden. Manchmal kämen die Betroffenen bei Gleichaltrigen unter. «In Notfällen, etwa in akuten Bedrohungssituationen, haben wir auch schon Personen dem Zürcher Schlupfhuus zugewiesen.» Auch dort bekommen Jugendliche in Krisensituationen ein Dach über dem Kopf. Allerdings ist das Angebot nicht speziell auf schwule Jungs und lesbische Mädchen ausgerichtet.

Regenbogenhaus geplant

«Wir von der Zürcher Aids-Hilfe denken schon seit längerem darüber nach, ein spezielles Regenbogenhaus zu gründen, in dem schwule Jugendliche in solchen Situationen untergebracht und speziell betreut werden könnten», so Rogantini. Ein Problem sei die Finanzierung. «Dafür bräuchten wir finanzielle Mittel – von Jugendorganisationen, Privaten oder von der öffentlichen Hand.» In diesem Punkt sei Genf im Vorteil, dort würden Schwulenorganisationen stärker von der öffentlichen Hand unterstützt, sagt Bastian Baumann. Auch er würde es begrüssen, wenn in der Deutschschweiz bald ein entsprechendes Angebot errichtet würde. Das Projekt «Le Refuge» kostet jährlich 250'000 Franken. Finanziert wird es von der Stadt Genf, privaten Stiftungen und der Westschweizer Lotterie.

Wurden Sie nach Ihrem Coming-out von Ihrer Familie verstossen? Erzählen Sie uns von Ihren Erfahrungen und schreiben Sie uns unter feedback@20minuten.ch

Deine Meinung zählt