Studie zeigtGriechen arbeiten länger als Schweizer
Die Schweizer verbringen pro Jahr weniger Zeit im Büro als ihre Kollegen in anderen Ländern. Experten erklären, warum die Schweiz dennoch wirtschaftlich erfolgreich ist.
Die Spanier haben die Siesta, die Italiener ihr Dolcefarniente, und gearbeitet wird in beiden Ländern nur so viel wie nötig: So sieht der Alltag der Südländer aus. Zumindest in den Köpfen der Nordeuropäer. Nun aber zeigen die neusten Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD): Am längsten arbeiten die Griechen. Sie liegen mit 2000 geleisteten Arbeitsstunden pro Jahr nämlich an der Spitze der Tabelle. Auch die Italiener gehören zu den fleissigen Arbeitern, noch vor den Spaniern.
Ein Grund für die hohe Wochenarbeitszeit ist, dass in Griechenland und Spanien ein Job oft nicht zum Leben reicht, wie der St. Galler Wirtschaftsprofessor Reto Föllmi festhält: «In diesen Ländern haben viele Leute noch einen zweiten oder gar dritten Job.» Tatsächlich hat in Griechenland und Spanien die Anzahl Arbeitsstunden erst seit 2008 – ein Jahr nach dem Ausbruch der Wirtschaftskrise – wieder zugenommen. In den Jahren zuvor hatten sie stetig abgenommen, so wie in den meisten anderen Industrieländern auch.
«Ineffizienter öffentlicher Sektor»
Einen weiteren Grund für das «gute» Abschneiden der Griechen sieht der Freiburger Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger darin, dass in südlichen Ländern der Arbeitsmarkt sehr unflexibel ist und Teilzeitjobs damit eine Seltenheit. Denn wo es nur Hundertprozent-Jobs gibt, liegt die geleistete Zahl Arbeitsstunden pro Person logischerweise höher.
Warum also das Bild des arbeitsfaulen Südländers? Das liege daran, dass viele in Ländern wie Griechenland vor allem den öffentlichen Sektor wahrnehmen würden, meint Eichenberger. «Und dieser ist tatsächlich ineffizient. Wenn man als Beamter für den griechischen Staat arbeitet, gibt es oft nicht viel zu tun.» Zudem erhielten beim Staat oft Leute eine Stelle, die kaum qualifiziert seien. Und nicht zuletzt spiele eine Rolle, dass auf einen Teil der Griechen am Abend noch ein anderer Job warte. «Klar schont man sich da während der Bürozeit.»
Soldaten, die nur Karten spielen
Doch Eichenberger warnt davor, von den Beamten auf die ganze Bevölkerung zu schliessen. «Das wäre so, als ob man sich die Schweizer Soldaten in der Armee anschaut, die dort den ganzen Tag Karten spielen – und von diesem Bild dann auf die ganze Schweiz schliesst.» Auch Reto Föllmi ist der Meinung: «Faulheit ist überall auf der Welt ähnlich verteilt.»
Dennoch dürfte sich so mancher Schweizer fragen, ob er tatsächlich viel weniger arbeitet als die Griechen oder Italiener und nur wenig länger als die Deutschen und Holländer.
Eichenberger erklärt: «Die tiefe Zahl Arbeitsstunden kommt daher, dass in der Schweiz viele Personen Teilzeit arbeiten.» Wenn viele Personen nur ein paar Stunden pro Woche arbeiten, zieht das die Anzahl Arbeitsstunden in die Tiefe. Über die Produktivität sage das aber nichts aus, die in der Schweiz weit höher sei als in Südeuropa.
Arbeitslose Jugendliche
Die Anzahl Arbeitsstunden ist auch aus einem anderen Grund irreführend. «Die Arbeitszeit lässt keine Rückschlüsse auf die Erwerbsquote zu», stellt Reto Föllmi fest. «In der Schweiz arbeiten weit mehr Personen als in Griechenland, wo die Arbeitslosenquote sehr hoch ist.» Tatsächlich sind in der Schweiz 79 von 100 Personen berufstätig. In Griechenland sind es 51, in Spanien 56.
Die tiefe Quote erkläre sich zum Teil mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit: «In Griechenland und Spanien ist es für die Jungen sehr schwierig, auf dem Arbeitsmarkt Fuss zu fassen», so Föllmi. Die vielen Regulierungen in diesen Ländern schreckten die Firmen ab und machten es schwierig, Leute einzustellen und zu entlassen. «Demgegenüber haben wir in der Schweiz gute Bedingungen für Unternehmen.»
Dank genug Geld weniger arbeiten
Der Zürcher Wirtschaftsprofessor Josef Zweimüller vermutet, dass die tiefe Arbeitszeit auch ein Zeichen von Wohlstand ist: «Wenn das Einkommen höher ist, können sich die Leute mehr Freizeit leisten. Das sieht man auch daran, dass die Arbeitszeit im Laufe des letzten Jahrhunderts ständig abgenommen hat.»
Ganz am Ende der Tabelle sind die Schweizer allerdings nicht. Noch ruhiger als die Schweizer lassen es die Deutschen, Franzosen und Holländer angehen. Gründe dafür sind grosszügigere Ferienregelungen wie in Deutschland, weniger lange Arbeitswochen wie in Frankreich oder höhere Steuern, die den Anreiz, länger zu arbeiten, reduzieren.