Händedruck verweigert – Zahnarzt behandelt nicht

Aktualisiert

Muslimin in LuzernHändedruck verweigert – Zahnarzt behandelt nicht

Weil eine muslimische Patientin ihm die Hand nicht schütteln will, verweigert ein Zahnarzt die Behandlung. Berufskollegen zeigen Verständnis.

von
R. Landolt

Im Kanton Luzern ist es am Mittwoch zu einem weiteren Händedruck-Eklat gekommen: Die Muslimin S. L.* wollte ihrem Zahnarzt die Hand nicht schütteln. Da verweigerte er ihr die Behandlung. «Er meinte, in der Schweiz gebe man einander die Hand zur Begrüssung.» Dabei sei sie Schweizerin und wisse genau, was sich gehöre: «Nämlich niemanden wegen der Religion zu diskriminieren», so die 34-jährige Konvertitin.

In Anspielung auf den verweigerten Händedruck zweier Schüler gegenüber ihrer Lehrerin an der Oberstufe in Therwil BL meint S.L., sie unterstehe schliesslich «keiner Schulordnung». Sie habe den Zahnarzt auch gefragt, ob er sie überhaupt ablehnen dürfe: «Müssen Zahnärzte keinen Eid leisten?» Darauf habe er erwidert, er dürfe nur Notfälle nicht abweisen. «Ich habe aber eine Notfall-Konsultation abgemacht», so S.L. Bereits am Montag habe sie wegen Zahnschmerzen in der Praxis angerufen. «Weil kein Termin frei war, musste ich warten.»

Das Händeschütteln mit einem Mann sei ein Problem für sie, eine Zahnbehandlung aber nicht – auch wenn dort ihr Mund berührt werde: «Die Religion erlaubt mir diesen Kontakt, wenn er aus gesundheitlichen Gründen notwendig ist.»

«Die Patientin sollte vielleicht besser eine Zahnärztin aufsuchen»

Olivier Marmy ist Zahnarzt in Lausanne und hatte auch schon muslimische Patientinnen: «Die Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient ist für mich das Wichtigste. Dazu gehört, dass ich kulturelle Bedürfnisse respektiere.» Er finde das auch vertretbar, «weil ein Zahnarzt im Gegensatz zu einer öffentlichen Schule auch keinen Bildungsauftrag hat». Trotzdem: Er habe auch Verständnis für den Luzerner Zahnarzt: «Er macht ja eine Behandlung am Mund, einer intimen Körperöffnung.» Fühle sich ein Arzt mit einem Patienten nicht wohl, sei es gut, wenn er diesem sage: «Mit uns wird das eher nichts.»

Marco Tackenberg von der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft kann den Entscheid des Luzerner Zahnarztes ebenfalls gut nachvollziehen: «In der Schweiz haben wir freie Arzt-, aber auch freie Patientenwahl. In einem solchen Fall ist die Patientin vielleicht besser beraten, wenn sie in Zukunft eine Zahnärztin aufsucht.»

Notfälle müsse ein Zahnarzt ohne Ausnahme behandeln. Tackenberg meint jedoch: «Kein Zahnarzt, der seinen Beruf ernst nimmt, würde einen tatsächlichen Notfall wegweisen.» Er vermutet, dass die Patientin «nicht gravierende Probleme wie starke Blutungen oder Frakturen im Kieferbereich hatte». Unter Medizinern sage man sich heutzutage: «Der Patient ist jener, der den Notfall definiert.»

Spitäler gehen auf individuelle Bedürfnisse ein

Anders reagieren die öffentlichen Spitäler: Simone Wegmüller, Sprecherin der Insel-Gruppe in Bern, sagt: «Selbstverständlich kann es vorkommen, dass ein Patient aus kulturellen Gründen die Hand nicht schütteln will.» Das sei aber nie ein Thema gewesen. «Ein öffentliches Spital ist für alle da.» Man gehe sehr individuell auf die Patienten ein. «Frauen, die in den Wehen liegen, schicken wir deswegen sicher nicht weg.»

Auch im Notfallzentrum des Universitätsspitals Basel geht man laut Sprecher Martin Jordan «so weit wie möglich auf die Wünsche der Patienten ein». Es komme etwa vor, dass Patienten von einer Person gleichen Geschlechts behandelt werden wollten. «Das ist aber nicht im religiösen Kontext zu sehen und hat beispielsweise in der Gynäkologie eher mit Schamgefühl zu tun.»

Der Luzerner Arzt wollte auf Anfrage von 20 Minuten keine Auskunft geben. Der Islamische Zentralrat, den S.L. um Rat ersuchte, prüft nun, ob er gegen das Gesetz verstossen hat.

*Name der Redaktion bekannt.

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