Jeder 2. Sozialhilfebezüger hat keinen Schweizer Pass

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Steigende KostenJeder 2. Sozialhilfebezüger hat keinen Schweizer Pass

Über die Hälfte der Sozialhilfebezüger stammt aus dem Ausland. Linke wollen sie besser ins Arbeitsleben integrieren, Rechte fordern strengere Vorschriften.

von
D. Pomper
285756 Personen bezogen im Jahr 2015 Sozialhilfe. Das sind 18 Prozent mehr als noch fünf Jahre zuvor. Miteinberechnet sind auch die anerkannten und vorläufig aufgenommenen Flüchtlinge, die sich weniger als fünf respektive sieben Jahre in der Schweiz aufhalten.
Aus EU-Staaten bezogen 2015 40791 Personen Sozialhilfe. Im Jahr 2010 waren es mit knapp 30000 Personen ein Viertel weniger. gewesen.
Die anerkannten und vorläufig aufgenommenen Flüchtlinge, die sich weniger als fünf respektive sieben Jahre in der Schweiz aufhalten, sind in einer separaten Sozialhilfestatistik erfasst. Hier verdoppelte sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger innert fünf Jahren von 9440 (2010) auf 20'130 (2015).
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285756 Personen bezogen im Jahr 2015 Sozialhilfe. Das sind 18 Prozent mehr als noch fünf Jahre zuvor. Miteinberechnet sind auch die anerkannten und vorläufig aufgenommenen Flüchtlinge, die sich weniger als fünf respektive sieben Jahre in der Schweiz aufhalten.

AP/Michael Probst

285'756 Personen bezogen im Jahr 2015 Sozialhilfe – rechnet man auch die anerkannten und vorläufig aufgenommen Flüchtlinge mit ein, die sich weniger als fünf respektive sieben Jahre in der Schweiz aufhalten. Das sind 18 Prozent mehr als noch fünf Jahre zuvor. Die Zahl der Schweizer Sozialhilfeempfänger stieg um 12 Prozent auf 139'255 an, die Zahl der ausländischen Sozialhilfeempfänger um 25 Prozent auf 146'501 (siehe Box).

Im Flüchtlingsbereich verdoppelte sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger innert fünf Jahren von 9440 (2010) auf 20'130 (2015). Über die Hälfte davon stammte aus Eritrea, gefolgt von Flüchtlingen aus Syrien und China. 2015 hatten von allen Sozialhilfebezügern 51 Prozent keinen Schweizer Pass.

«Aufenthaltsbewilligung entziehen»

Die Sozialhilfekosten steigen stetig: Ein Empfänger der wirtschaftlichen Sozialhilfe hat 2014 im Durchschnitt 9880 Franken bekommen. Insgesamt gaben Bund, Kantone und Gemeinden 2014 7,9 Milliarden Franken für die Sozialhilfe aus.

«Die Zahlen sind alarmierend», sagt Thomas de Courten, SVP-Nationalrat und Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit (SGK). Das Schweizer Sozialhilfesystem verleite dazu, sich auf der Hängematte auszuruhen statt sich Arbeit zu suchen. Das müsse sich ändern. «Die Auszahlung der Sozialhilfe sollte von einer Mindestaufenthaltsdauer abhängen und an die Anzahl Steuer- oder Beitragsjahre gekoppelt werden», fordert de Courten. Wer zu einem späteren Zeitpunkt eingebürgert werde, müsse sich dazu verpflichten, die Sozialhilfe zurückzuzahlen.

Parteikollege Adrian Amstutz (SVP) geht noch einen Schritt weiter. Wegen der zunehmenden finanziellen Belastung der Gemeinden soll Ausländern die Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung entzogen werden, die «dauerhaft und erheblich» von Sozialhilfe abhängig sind: «Ausländer, die nicht für sich selber und ihre Familie sorgen können, müssen gehen.» Ausserdem sei die vom Volk beschlossene Einschränkung der Zuwanderung umzusetzen.

«Diplome von Migranten anerkennen»

SP-Nationalrätin und SGK-Mitglied Bea Heim dagegen plädiert für eine bessere Integration der ausländischen Personen ins Erwerbsleben: «Migrantinnen und Migranten müssen vom ersten Moment an Sprachkurse absolvieren können. Spracherwerb ist die Grundvoraussetzung für Teilhabe – nicht nur im Arbeitsmarkt.»

Ausserdem müssten ausländische Diplome und Ausbildungen viel einfacher anerkannt werden. Flüchtlinge, die keine Arbeitsbewilligung haben, sollten gemäss Heim zumindest bezahlte Praktika absolvieren dürfen, damit sie nicht in der Sozialhilfe landen. «Wir nutzen das Potenzial dieser Leute viel zu wenig. Dazu kommt: Wer nicht arbeiten darf, fühlt sich entwertet», sagt Heim.

Erst in der Sommersession hat der Ständerat ein Postulat angenommen, das vom Bundesrat verlangt, zu prüfen, ob der Bund den Zugang zur Sozialhilfe für Ausländer aus Drittstaaten einschränken oder ausschliessen kann. Auch der Bundesrat hatte die Annahme des Postulates beantragt. Abgelehnt dagegen hatte der Nationalrat in der Frühlingssession eine Motion, die verlangte, Einwanderer aus Staaten ausserhalb der EU und Efta für eine Dauer von drei bis fünf Jahren von der Sozialhilfe auszuschliessen.

Frau Gerber*, im Jahr 2015 bezogen 18 Prozent mehr Personen Sozialhilfe als fünf Jahre zuvor. Warum?

Seit einigen Jahren ist die Sozialhilfequote bei rund 3,2 Prozent mehr oder weniger stabil. Dies zeigt, dass die steigende Zahl von Sozialhilfebeziehenden in erster Linie durch die wachsende Bevölkerung begründet ist.

Im Flüchtlingsbereich verdoppelte sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger innert fünf Jahren. Was bedeutet das?

Die Zunahme von anerkannten und vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen in der Sozialhilfe widerspiegelt die Bewegungen im Migrationsbereich und die Zunahme an Asylgesuchen. Die SKOS weist schon seit längerem darauf hin, dass die niedrige Erwerbsquote dieser Gruppe für die Sozialhilfe problematisch ist. Es kommen nach Ablauf der Finanzierung durch den Bund grosse Folgekosten auf Kantone und Gemeinden zu, wenn es nicht gelingt, diese Personen möglichst früh und nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Wie gelingt eine erfolgreiche Integration?

Die meisten Asylsuchenden sind jung und arbeitsfähig, aber ihre Qualifikationen entsprechen nicht den Anforderungen des hiesigen Arbeitsmarktes. Dem Arbeitsmarkt angepasste Bildungs- und Qualifizierungsmassnahmen sind daher der Schlüssel. Sie ermöglichen, dass diese Personen wirtschaftlich selbstständig werden können. Administrative Hürden wie Bewilligungspflichten und Gebühren müssten weiter abgebaut werden. Erfolgsversprechend ist beispielsweise auch ein individuelles Jobcoaching.

Rechte Politiker fordern, Ausländern die Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung zu entziehen, die dauerhaft und erheblich von der Sozialhilfe abhängig sind. Was halten Sie von dieser Idee?

Die Sozialhilfe hat gemäss Bundesverfassung den Auftrag, bedürftige Menschen, die legal in der Schweiz leben, zu unterstützen. Die Erteilung oder der Entzug der Aufenthaltsbewilligungen an neue Bedingungen zu knüpfen, müsste sehr sorgfältig geprüft werden, damit nicht neue Ungerechtigkeiten entstehen. dp

Regine Gerber ist Sprecherin der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS

40'800 Sozialhilfebezüger aus der EU

Die höchste Sozialhilfequote wiesen 2015 ausländische Sozialhilfebezüger aus Afrika auf (26'013, 30%). 2010 waren es noch 16'365. Aus Asien stammten 15'111, aus Lateinamerika 6665 Personen. Aus EU-Staaten bezogen 2015 40'791 Personen Sozialhilfe. Im Jahr 2010 waren es mit knapp 30'000 Personen ein Viertel weniger.

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