Schutz für FreierKein Sex unter 18 – kommt jetzt der Dirnen-Stempel?
Alter, Aids-Test, AHV: Prostituierte sollen ihren Freiern künftig über intimste Details Rechenschaft ablegen. So will es zumindest der Dachverband der Schweizer Männerorganisationen.

Unter 18-Jährige dürfen ihre Dienste in der Schweiz bald nicht mehr anbieten.
Ein leicht bekleidetes Mädchen in High Heels beugt sich über ein halb geöffnetes Autofenster, lächelt lasziv, bietet dem Mann hinter dem Steuer ihre Dienste an. Dieser zögert. «Kann ich Deine Lizenz sehen?», fragt er schliesslich beschämt. Sie händigt ihm ein Stück Papier aus, er wirft einen prüfenden Blick darauf. Alter: 19, Aids-Test: absolviert, Aufenthaltsbewilligung: vorhanden, AHV: bezahlt. Darunter ein Stempel – quasi ein staatliches Gütesiegel.
Geht es nach dem Dachverband männer.ch, sollen Prostituierte in der Schweiz solche oder ähnliche Angaben bald stets auf sich tragen. Die Organisation fordert eine landesweite Ausweispflicht für Sexarbeiterinnen. Grund ist die vom Parlament beschlossene Verschärfung des Strafgesetzes, welche Sex mit Prostituierten unter 18 Jahren unter Strafe stellt. Wer sich mit einer minderjährigen Dirne einlässt, riskiert künftig eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren.
Markus Theunert, der Präsident von männer.ch, warnt: «Allein eine Anklage wegen Sex mit minderjährigen Prostituierten hat massive Auswirkungen für Betroffene. Ein solcher Verdacht kann Existenzen ruinieren.» Er befürchtet, dass sich Freier ohne ihr Wissen mit minderjährigen Prostituierten einlassen und dafür bestraft werden könnten – weil die Frauen ihnen keine oder nur gefälschte Ausweise zeigen.
«Männer müssen Spielregeln kennen»
Theunert verlangt, dass die Freier vor solchen Sex-Fallen geschützt werden. Er fordert von Bund und Kantonen, dass klar definiert wird, wie sich ein Freier über das Alter einer Prostituierten informieren muss. Reicht es, wenn er sie danach fragt? Muss die Prostituierte ihren Pass zeigen? Kurz: Wann hat ein Freier seine Sorgfaltspflicht erfüllt? «Wir von männer.ch stehen grundsätzlich hinter der Erhöhung des Schutzalters auf 18 Jahre», hält Theunert fest. «Die Männer müssen aber die Spielregeln kennen, sonst sehen sie alt aus.»
Eine schweizweit einheitliche Lizenz wäre nach Meinung des Dachverbands die beste Lösung, um Freier und Prostituierte zu schützen: «Die Frauen könnten sich beispielsweise mit einem Stempel beglaubigen lassen, dass sie alle Auflagen erfüllen. Es geht nicht nur um das Alter, sondern auch um Angaben zum Gesundheitsschutz sowie zur Sozialversicherung der Prostituierten. So könnten gewisse medizinische Untersuchungen wie etwa ein Aids-Test vorausgesetzt werden. Das Dokument könnte darüber hinaus auch Auskunft darüber geben, ob AHV-Beiträge bezahlt werden und eine Aufenthaltsbewilligung vorliegt.»
«Die Finger von den Frauen lassen»
Im Milieu ist man alarmiert: «Ich finde das gefährlich», sagt Regula Rother, die als Leiterin der Zürcher Stadtmission eng mit Frauen aus dem Sexgewerbe zusammenarbeitet. «Man übergibt einmal mehr die gesamte Verantwortung den Prostituierten. Diese müssen sich schon so ständig ausweisen – sei es gegenüber der Polizei oder in den Salons. Dass sie jetzt auch noch vor den Freiern Rechenschaft ablegen sollen, ist der falsche Weg.»
Auch Milieu-Anwalt Valentin Landmann winkt ab: «Das ist ein völliger Quatsch. Erstens ist die Prostitution von unter 18-Jährigen kein wesentlicher Markt. Die meisten Erotikbetriebe stellen gar keine so jungen Frauen ein. Zweitens erteilt zum Beispiel die Stadt Zürich minderjährigen Prostituierten sowieso keine Bewilligung. Es reicht völlig, wenn man das so handhabt.»
In der Politik scheinen die Meinungen ebenfalls gemacht: «Ich bin skeptisch. Es ist ein Versuch, die Verantwortung abzuschieben. Von mir aus gesehen, müsste die Verantwortung aber ganz klar bei den Freiern liegen», sagt SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr. Und ihre SVP-Ratskollegin Natalie Rickli doppelt nach: «Ich habe wirklich Mühe: Zuerst macht die Stadt Zürich mit ihren Sexboxen auf Zuhälterin. Und jetzt soll noch eine solche Bürokratie aufgezogen werden. Das geht mir definitiv zu weit.» Beide Parlamentarierinnen sind sich einig: «Die Freier sollen einen Ausweis verlangen. Und wenn sie keinen bekommen, müssen sie halt die Finger von der Frau lassen.»
Noch keine Lösung in der Schublade
männer.ch-Präsident Markus Theunert überrascht die mangelnde Unterstützung aus der Politik nicht: «Es ist halt unpopulär, sich für die Interessen von Freiern einzusetzen.» Die Bevölkerung sei extrem sensibilisiert auf die Problematik der sexuellen Handlungen mit Minderjährigen. «Das ist grundsätzlich begrüssenswert, birgt aber auch die Gefahr, dass man über das Ziel hinausschiesst.» Er befürchte, dass die Verschärfung deshalb nicht mit dem nötigen Augenmass umgesetzt werde.
Theuner räumt ein, dass männer.ch auch noch kein fixfertiges Konzept in der Schublade hat. «Die Herausforderung ist es, dass der Ausweis nicht missbraucht werden kann, der Datenschutz aber gleichzeitig gewährleistet ist.» Ob der Ausweis mit Name, Pass-Nummer oder Foto der Prostituierten versehen würde, kann der Präsident des Dachverbands deshalb noch nicht beantworten.
Beim Bundesamt für Justiz will man sich nicht zum Vorschlag von männer.ch äussern. Die Regelung der Prostitution sei Sache der Kantone. Die Frage der Kontrolle stelle sich mit der Erhöhung der Altersgrenze jedoch nicht neu. Die Verschärfung könnte die Männer höchstens noch vorsichtiger machen: «Freier erwarten grundsätzlich Diskretion und werden kaum das Risiko eingehen, sich durch strafbares Verhalten zu ‹outen›», heisst es auf Anfrage.