Parlamentarier einigKeine Chance für Verbot von Beschneidungen
Der Vorstoss eines grünen Kinderlobbyisten gegen Beschneidungen findet im Parlament keinen Anklang - nicht mal bei Parteikollegen. Eine Volksinitiative hätte bessere Chancen.

Ein Verbot von Beschneidungen findet bei Parlamentarier wenig Unterstützung: Zwei türkische Knaben einer einer Beschneidungszeremonie in Istanbul.
Das Zürcher Kinderspital nimmt vorerst keine Knabenbeschneidungen aus religiösen Gründen mehr vor. Doch das reicht Daniel Goldberg nicht: Der Präsident der Kinderlobby Schweiz will das Parlament dazu bewegen, ein Totalverbot des rituellen Eingriffs zu beschliessen. In der Herbstsession soll ein entsprechender Vorstoss eingereicht werden, wie die «SonntagsZeitung» berichtet. «Personen, die beschnitten werden, müssen sich über die Reichweite des Eingriffs bewusst sein», sagt Goldberg gegenüber 20 Minuten Online. «Deshalb soll die Beschneidung erst ab 16 Jahren erlaubt sein, wenn ein Jugendlicher sich eine eigene Identität gebildet hat.»
Doch Goldberg hat ein Problem: Als Nicht-Parlamentarier kann er den Vorstoss nicht selber einreichen und muss deshalb im Bundeshaus nach Verbündeten suchen. Da der Kinderlobby-Präsident auch bei den Grünen in Baden aktiv ist, wäre es naheliegend, dass er seinen Parteikollegen Geri Müller, Nationalrat ebenfalls aus Baden, einspannt. Dieser hat einen seiner Lobbyistenpässe der Kinderlobby abgetreten und ist nicht als Freund Israels bekannt.
Die Grünen wollen nicht
Angefragt hat Goldberg Müller noch nicht. Er muss aber mit einer Absage rechnen. Müller hat zwar Verständnis, dass sich Goldberg auf die Uno-Kinderrechtskonvention beruft: «Die Beschneidung ist ein unumkehrbarer Eingriff. Niemand weiss, ob die Babys von heute später wirklich Juden oder Muslime sein wollen.» Doch er findet, es sei nicht an der Politik, einen Entscheid zu fällen. Vielmehr müssten die Religionsgemeinschaften selber über die Bücher und sich reformieren: «Wieso sollten all die Gebote, die vor Jahrtausenden niedergeschrieben wurden, bis in alle Ewigkeit gültig sein?»
Auch Müller Fraktionskollege Daniel Vischer nimmt lieber die Religionsgemeinschaften in die Pflicht. Das Parlament habe das Thema im Zusammenhang mit dem Verbot der Mädchenbeschneidung im letzten September abschliessend behandelt. «Wir können doch nicht jedes halbe Jahr eine neue Gesetzgebung machen», findet der Jurist – und kritisiert die «Manie, immer gleich ein Verbot zu fordern, sobald irgendein Thema in der Luft liegt».
Innerhalb der grünen Partei kam es 2010 zu heftigen Auseinandersetzungen, weil ein Berner Lokalpolitiker in einem Grundlagenpapier zur Gleichstellung eine «offene Diskussion» über die Knabenbeschneidung forderte. Die Delegierten versenkten das Grundlagenpapier letztlich auch aus diesem Grund. Für Vischer ist das Beleg genug, dass Goldberg in der grünen Bundeshaus-Fraktion keine Verbündeten finden werde.
«Wie das Stechen von Ohrlöchern»
Bei der SP sieht es nicht viel besser aus für den Kinderlobbyisten. Die Berner Nationalrätin Margret Kiener Nellen sagt zwar: «Als Juristin trete ich stark für das Recht auf die Unversehrtheit des Körpers ein.» Dieses sei höher zu gewichten, als ein religiöser Brauch der letzten paar hundert Jahre. Deshalb ist Kiener Nellen wie Goldberg für ein Verbot von Beschneidungen vor dem 16. Geburtstag. Doch den Vorstoss einreichen mag sie nicht: «Das ist für mich als Finanz- und Steuerpolitikerin kein primäres Thema.»
Selbst wenn Goldberg doch noch ein Sprachrohr findet – eine Mehrheit für ein Beschneidungsverbot im Parlament ist reine Illusion. SP-Rechtspolitiker Daniel Jositsch betrachtet den Eingriff als «einfache Körperverletzung, vergleichbar mit dem Stechen von Ohrlöchern, die in der Kompetenz der Eltern liegt». Deshalb halte er vom Vorstoss gar nichts. Christa Markwalder (FDP) erinnert an die Debatte zur Mädchenbeschneidung. In der Rechtskommission und auch später im Plenum habe der Konsens geherrscht, dass ein Verbot bei Knaben nicht nötig sei.
Anderer Fall als Mädchenbeschneidung
Selbst bei der SVP, die sich sonst gerne mit islamkritischen Voten hervortut, gibt es kaum Sympathien für ein Beschneidungsverbot – wohl auch, weil die Partei damit gleichfalls die Juden treffen würde, was im Widerspruch zu ihrer israelfreundlichen Haltung steht. Der Walliser Nationalrat Oskar Freysinger sagt, er sei gegen ein Verbot, weil er keinen Religionskrieg lostreten wolle. Zudem würden die meisten Juden und Muslime die Beschneidung sonst einfach im Ausland machen lassen.
Die Knabenbeschneidung sei eine Praxis, die seit 4000 Jahren üblich sei und noch nie zu Problemen geführt habe, betont Parteikollege Christoph Mörgeli. «Das ist etwas ganz anderes als die Genitalverstümmelungen bei Mädchen, die deren späteres Sexualleben massiv beeinträchtigen.» Mit denselben Argumenten erteilt auch CVP-Vizepräsidentin Ida Glanzmann Goldberg eine Absage. «Ich staune, dass die Knabenbeschneidung durch einen Gerichtsentscheid in Deutschland plötzlich zu einem Thema geworden ist.»
Umfrage deutet auf klares Ja für Verbot hin
Daniel Goldberg ist sich bewusst, dass sein Vorstoss im Parlament einen schweren Stand haben wird. Viele Politiker hätten eine Übersensibilität in Bezug auf religiöse Themen und gewichteten die Kinderrechte im Zweifelsfall weniger stark. «Aber dass Politik und Öffentlichkeit für das Thema sensibilisiert werden, ist schon ein riesiger Schritt.»
Eine Volksinitiative sei vorerst zwar kein Thema: «Dafür hätten wir nicht die Ressourcen.» Aber Goldberg ist überzeugt, dass sein Vorstoss in der Bevölkerung grosse Sympathien geniesst. Tatsächlich deuten erste Zwischenergebnisse der Beschneidungs-Umfrage von 20 Minuten Online auf ein deutliches Ja für ein Verbot hin.